Meiner lieben Gemeinde zur Erinnerung an die Einweihung der Kirche gewidmet.
0. Vorwort.
Zur Feier der Einweihung der neuen Kirche überreiche ich Dir, liebe Gemeinde Werlau, dieses Büchlein. Wehmütig hat mancher von der alten Kirche Abschied genommen. Diese Seiten werden uns an sie erinnern. Über dem Neuen soll das Alte nicht vergessen werden; vielmehr soll ein Blick in die Vergangenheit uns die Gegenwart recht verstehen lehren. Und wenn uns die Geschichte der Gemeinde manche ernste Lehre giebt, so mag auch das zum Segen wirken, indem wir lernen, die eine Gemeinde erhaltenden und belebenden Kräfte recht zu beachten und zu pflegen. Dem freundlichen Entgegenkommen der Verwaltung des Kgl. Staatsarchiv's zu Koblenz verdanke ich zum großen Teile den reichen Stoff und spreche derselben daher auch hier meinen herzlichen Dank aus. Dir aber, liebe Gemeinde, rufe ich zu: Lasset uns rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem der das Haupt ist, Christus. Eph. 4, 15 und 16.
WERLAU, den 8. August 1907 - W. OVER, Pfarrer.
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1. Teil. Herrschaftsgeschichte der Gemeinde Werlau
Von
Werlau hören wir urkundlich zum ersten Male im Jahre 1256. Am
13. Juni dieses Jahres belehnte Gerlach, Herr zu Limburg a. d. Lahn,
den Ritter Conrad v. Schoneck auf dem Hunsrück aus Anerkennung
für seine treuen Dienste mit der Hälfte des Dorfes Werlau
(Urkundenbuch zur Gesch. der mittelrhein. Territor. Nr. 1353). Aus
dem Jahre 1263 ist uns sodann eine Urkunde erhalten, (Wenk Urkunden
S. 31) welche berichtet, daß »sich der Ritter Conrad v.
Schöneck mit dem Herrn Heinr. v. Eysenbergk umb das Dorf Werle
dermassen vertragen haben, daß der Herr v. Eysenbergk die
Hälfte um 100 Mark innerhalb 5 Jahren lösen muoege, und
will Herr Chunrad darum Güter kauffen und die von Herrn
Heinrichs v. Eysenbergks Bruder (d. i. Gerlach v. Limburg) zu Lehen
tragen«.
Diese Grafen von Isenburg und Limburg leiteten
ihre Ansprüche auf Werlau aus ihrer Verwandtschaft mit dem Hause
Arnstein ab. Der letzte Arnsteiner Graf Ludwig III., welcher 1185
starb, verwandelte sein Schloß in ein Praemonstratenserkloster,
in das er selbst eintrat. 72 Kirchen standen unter seinem Patronat,
er war der Vogt von Boppard, Wesel, St. Goar, Ober-Niederlahnstein,
Coblenz etc. und hatte auch Hoheitsrechte über Werlau.
Die
Grafen von Isenburg teilten sich in die Isenburger (Gerlach) und
Limburger (Heinrich) Linie, von denen die ältere Linie die
Herrschaft derjenigen arnstein'schen Gebiete übernahm, welche
unter der Oberhoheit des Kurfürsten von Trier standen. im Jahre
1220 war nämlich der Erzbischof von Trier Theodor von Wied durch
Kaiser Friedrich II. mit der Landeshoheit über das ganze
Erzbistum belehnt. Die limburger und isenburger Herren scheinen nun
gemeinsam die Lehnshoheit über Werlau besessen zu haben. Sie
hätten somit gemeinsam den Ritter Conrad v. Schöneck
belehnen müssen. Statt dessen kaufte der Isenburger dem Ritter
die von ihm zu belehnende Hälfte ab. Conrad behielt die andere
Hälfte als limburger Lehen, nahm auch die für jene 100 Mk.
gekauften Güter von dem Limburger als Lehen an. (Vgl. S. 7.)
Die
Grafen von Isenburg haben dann ihren Anteil an Werlau im Jahre 1276
oder 77 durch Heiratsvertrag dem Grafen von Katzenellenbogen
abgetreten. Nach diesem Vertrag sollte Irmengard, die Tochter Ludwigs
v. Isenburg, welche mit Wilhelm dem Sohne Dieters III. v.
Katzenellenbogen verlobt wurde, die Dörfer
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Hausen
(St. Goarshausen) Bornig, Padersberg, Ossenthal und Werlau - d.h. nur
die Isenburger Hälfte - erhalten. Durch Vollzug dieser Heirat
1284 kam Werlau in den Besitz des Grafen von Katzenellenbogen. Der
Name dieses Geschlechtes rührt von der im Eynert, einige Stunden
vom Rhein gelegenen Burg her. Da es schon einige Besitzungen am
linken Rheinufer hatte, - 1190 wurde es mit der Vogtei von St. Goar
belehnt und kam später auch in den Besitz der Vogtei von
Pfalzfeld und Biebernheim, - so stammt seit dieser Zeit die
Zusammengehörigkeit jener Besitzungen.
Schon 1245 und 46
hatte Graf Dieter III. von Katzenellenbogen das Schloß
Rheinfels erbaut und so wurde Werlau dem Bann der Burg zugefügt.
Dieser Graf Dieter III. war ein ritterlicher Herr, nimmt man doch
sogar an, daß er als »Heinrich der Vogler« von
Walter von der Vogelweide gefeierte Held sei.
Um aber der
isenburger Besitzungen nicht wieder verlustig zu gehen, ließ
sich am 11. August des Jahres 1303 Wilhelm von Katzenellenbogen noch
einmal durch den Erzbischof Diether von Trier mit den Dörfern
Bornig und Hausen belehnen. Auffälliger Weise wird in dieser
Urkunde Werlau nicht genannt, denn das Ossenthal und Padersberg
unerwähnt blieben erklärt sich daraus, daß diese
Filiale von Hausen waren, doch zeigt uns eine Belehnung des
Erzbischofs Balduin v. Trier aus dem Jahre 1314, daß Werlau
kurtrierischer Lehen war, denn dort wird neben jenen Orten auch
Werlau »villa dicta Werle« genannt. Wenk S. 299.
Um
eine Zersplitterung zu vermeiden ordnete Wilhelm am 19, Juli 1331 an,
daß die Güter an seinen ältesten Sohn übergehen
sollten. Diesen Schritt tat er aber nicht, ohne vorher die Schöffen
des Gerichtes zu Werlau um ihre Meinung gefragt zu haben. Das
Gutachten derselben ist vom 25. März 1331 datiert. Wenk S. 129.
Derselbe Graf Wilhelm erhielt auch am 26. Juli 1330 von Kaiser Ludwig
dem Bayer (1314 - 47) »durch der getreuen Dienste willen, dy er
uns gethan hat und fürbaß doyn soll und mag und van
besunderer Gnade verliehen fir und zwanzig Juden, dy sie in yrem
Gebiet haben sollent und mögen von uns und dem Reiche, mit allen
Nutzen, Rechten und Dynsten, dy sie einem Reiche thun sollent.«
Am 18. November 1331 starb Wilh. I. Sein Nachfolger ward sein
ältester Sohn zweiter Ehe Wilhelm II. Dieser vereinigte im Jahre
1381 das Dorf Werlau unter seiner Herrschaft, indem er
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die noch im Besitze des Herrn v. Schöneck befindliche Hälfte (vgl. S. 5) für 1150 Gulden erblich erwarb. Im Zusammenhang mit diesem Kaufe steht wahrscheinlich die Sendung seiner Freunde, der Herren Johann Pyner ein Ritter, Junker Hilderich, Heinz Molener und anderer nach Werlau ans Gericht zu erfragen und zu erforschen von den Schöffen daselbst, was rechtens daselbst sei. Das Gerichtsweistum aus dieser Zeit. (im Staatsarchiv zu Coblenz aufbewahrt) giebt uns über die damaligen Verhältnisse genaue Auskunft. Das Stift St. Castor zu Coblenz war Grundherr. Deshalb genoß es den Zehnten und andere Abgaben, setzte den Schultheiß und die Schöffen ein. Die Herren v. Katzenellenbogen waren die Schutzvögte und ernannten den Vogt; oder wie es abschriftlich aus einem alten Weistum, durch Pfarrer Gryphius überliefert ist: sie waren Herren »zu richten über Hals und Haupt, ein gewaltiger Herr über alle Gewaltsachen und über Gewalt-Wetten (-Strafen);« von denen sie 1/3 bekamen. Schließlich waren sie die Schirmherren über Wasser, Weide und Wald, über Wege und Stege über die Gräben und über das Gericht. Die Herren von St. Castor waren die Grundherren soweit die Gerechtigkeit von Werle geht und hatten den Zehnten von Wein und Korn und etliche Hauszehnten, was Acker und Weingärten vormals gewesen seint, und nit, was vormals Wiesen gewesen seint. Sunst haben die Herren etzliche Güter zu Werlau, die ihr eigen gewest sein und die zur Pfarrei gehört haben. Von den Wetten am Gericht hatten sie 2/3 zu erhalten. Später setzte der weltliche Herr den Schultheißen ein.
Wilhelm starb kinderlos und sein Bruder, Eberhardt V., der ihm nachfolgte, hatte auch nur eine Tochter. Deshalb machten die Brüder mit dem Grafen Diether VI. von Neukatzenellenbogen 1384 einen Heiratsvertrag, nach welchem der einzige Sohn desselben Johann, die einzige Tochter Eberhardts, Anna, heiraten sollte. Zugleich wurde bestimmt, daß der aus dieser Ehe hervorgehende älteste Sohn die Grafschaft Alt- und Neu-Katzenellenbogen erben sollte, während die anderen Kinder mit je 300 Mark abgefunden werden müßten.
Eberhard V. übernahm 1384 oder 85 die Herrschaft. Von ihm berichtet die Limburger Chronik unter dem Jahre 1393. »In dieser Zeit war ein edler Graf von Katzenellenbogen, der hieß Eberhard, der hatte große Ding und Ritterschaft gethan und beweiset in großen Streiten in diesen Landen und über Meer in dem hei-
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ligen
Land. Der hat gebaut Schalbach, an der Aarde und das thäte er
vor dieser Zeit mehr denn 30 Jahre.«
Er war auch der
Erbauer der Burg Katz bei St. Goarshausen, welche 1393 fertig
gestellt wurde.
Vielleicht hat sich in der Begleitung dieses
Grafen auch der Ritter Brand von Rhense befunden, von welchem
berichtet wird, daß er seine Güter in Werlau an das Stift
St. Castor in Coblenz verpfändet habe, um das Geld zur
Ausrüstung für den Kreuzzug zu erhalten. Er soll nicht
zurückgekehrt sein und seine Gemahlin Lucretia solle alle Güter
der Brande in Werlau dem Stifte St. Castor vermacht haben. Dafür
habe dieses ein jährliches Seelenamt an ihrem Todestage dem
Sonntag Misericordiae
domini
in der Kirche zu Werlau zu halten. Diese Frau soll auch die Stifterin
der Kirche gewesen sein. So berichtet der Pfarrer, welcher sich auf
Mitteilungen einer Stiftsherren von St. Castor beruft. Ein alter
Grabstein aus dem Jahre 1337, welcher jetzt in der Wand des
Seitenschiffes eingelassen sit, stellt eine Frauengestalt dar, welche
als Lucurdia
uxor Domini Bredili de Wele
bezeichnet wird.
Daß das Geschlecht der Brande in Werlau
ansässig war, bezeugt noch der Name Brandswald, wo ihre Burg
gestanden haben soll, und in einem Kaufvertrag aus dem Jahre 1454,
den der Enkel EberhardtV. Philipp (seit 1444 im Besitz dfer
Herrschaft Alt- und Neukatzenellenbogen) mit dem Castorstifte machte,
heißet es, daß das Stift im Besitze des Boxberger Hofes,
zwischen Werlau und Holzfeld war, und zwar infolge eines Kaufes von
Herrn Heinrich vom Walde, den man nennet Brand von Rhense. (Wenk
Urkunden S. 254, 55)
Der Sohn Philipps wurde 1454 in einem Aufruhr
erstochen. Seine einzige Tochter Anna wurde 1446 mit Heinrich dem
IV., dem Sohne des Landgrafen Ludwig von Hessen verlobt und 1458
verheiratet. Da in dem Heiratsvertrage bestimmt war, daß die
Katzenellenbogenschen Lande an Hessen fallen sollten, kam mit dem
Tode Philipps des Älteren 1479
Werlau
in den Besitz der Landgrafen von Hessen.
Landgraf Heinrich der IV. lebte nur bis 1483. Von seinen 4 Söhnen überlebte ihn nur Wilhelm III., welcher zur Sicherung seiner Rechte von Kaiser Maximilian mit Katzenellenbogen belehnt wurde. Als er 1500 starb folgte ihm sein Vetter Wilhelm II.,
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dessen
Nachfolger wiederum der durch die Einführung der Reformation
bekannte Philipp der Großmütige war.
Während der
Gefangenschaft dieses Fürsten nach dem Schmalkaldischen Kriege
ward Philipp auf dem Reichstage zu Augsburg 1548 der
Katzenellenbogenschen Lande für verlustig erklärt, und
diese kamen an die Nassauer. Philipp ruhte aber nicht, bis er 1557,
am 30. Juli, durch Vergleich mit seinen alten Gegnern wieder in den
alten Besitz kam.
Bei der Teilung, welche Philipp vornahm, kam
Werlau mit der Grafschaft Niederkatzenellenbogen, deren Hauptstadt
St. Goar war, an seinem Sohn Philipp; und 1584 nach dessen Tode mit
Rheinfels an den Landgrafen Wilhelm v. Cassel. Zwar versuchte 1623
der Landgraf von Darmstadt (Oberkatzenellenbogen) die Gebiete an sich
zu reißen, aber die damals verwitwete Landgräfin Elisabeth
griff zu den Waffen und gewann 1647 diese Gebiete für ihren
unmündigen Sohn Wilhelm III. von Cassel zurück.
Die
Landgrafen von Cassel behielten aber nur die Oberhoheit über die
Lande, denn in dem 1648 mit Darmstadt geschlossenen Vertrage traten
die Landgrafen von Cassel ihren Teil der Niederen Grafschaft an den
Landgrafen Ernst, den Stifter der Hessen-Rheinfeldischen Linie ab.
Bis zum Jahre 1794 blieb Werlau in dem Besitze dieses Geschlechtes.
In diesem Jahre
kam Werlau in die Gewalt der Franzosen.
Am 23. Oktober war General Jourdan in Coblenz eingezogen und am 24.
rückte General Vincent über den Hunsrück gegen
Rheinfels vor. Am 30. Oktober wurde Werlau besetzt. Mit den eroberten
Landen wurde es der französischen Republik einverleibt. Es stand
unter der Verwaltung des Generaldirektors der eroberten Lande
zwischen Rhein und Mosel, der engere Bezirk war das Arondissement
Simmern. Bis zum Jahre 1814 blieb die Herrschaft der Franzosen. Erst
der Friede und die durch den Wiener Congress festgesetzte Neuordnung
brachte Werlau unter die Herrschaft des Königreiches Preußen.
Es wurde nach Aufhebung der provisorischen Regierung dem oberen
Teile der Rheinprovinz und dem Kreise St. Goar zugeteilt.
2. Teil. Geschichte der Kirchengemeinde
Wann nach Werlau das Christentum gekommen, läßt sich nicht genau feststellen. Es ist möglich, daß zur römischen Kaiser-
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zeit
schon das Evangelium hier gepredigt wurde, jedoch haben die Stürme
der Völkerwanderung und die fränkische Eroberung die Spuren
desselben verwischt. Die hier ansässigen Franken werden wohl von
dem heiligen Goar oder seinen Begleitern, am Anfang des 9.
Jahrhunderts dem Christentum wieder gewonnen sein.
Von einer
christlichen Gemeinde in Werlau hören wir urkundlich zuerst im
Jahre 1341 durch ein Weistum. In demselben heißt es: »Daß
die Herren Kanonischen von St. Gewehr schuldig sein, alle Jahre zu
gehen mit der Prozession zu Werle vor Pfingsten und sollen auf alle
Dienstage Messe lesen zu Werle und das Gut, das sie hant von
denselben Brüdern (2 Ritter v. Brande) und von ihren
Altfürdern«. Dasselbe Weistum redet auch von dem
Verhältnis zu dem Castorstift in Coblenz, indem es berichtet,
daß die Herren Brand von Walde Güter in Werle von dem
Probsthofe zum Lehen haben. Auch ein Erbpachtbrief vom Jahre 1343 ist
von dem Probste von St. Castor ausgestellt.
Genaueres erfahren wir
durch eine Urkunde vom 20. September 1347. Nach derselben
inkorporierte der Erzbischof Balduin v. Trier dem Capitel von St.
Castor in Coblenz die dasige Probstei und die Kirche zu Werle mit
allem Zubehör zur Verbesserung der täglichen
Distributionen. Zugleich wird durch ein Weistum bestätigt, daß
der praepositus (Abt) allein den Zehnten beziehe, welcher von dem
Teil des Pfarrers abgenommen wird und nicht die Brüder.
Die
Gemeinde in Werlau gehörte zu dem Erzbistum Trier, stand unter
dem Archediakonat Carden und dem Diakonat Boppard. Das Stift St.
Castor, dessen Chorherren eigentlich hätten den Dienst
verrichten müssen, , stellte zur Versehung des Gottesdienstes
einen Leutpriester (plebanus)an und zog dem entsprechend die Mehrzahl
der Einkünfte an sich. Der gesamte Zehnte an Korn, Wein, sowie
etliche Hauszehnte kamen ihm zu. Die Einkünfte des
Leutepriesters erscheinen daneben sehr gering. Aus einem alten
Visitationsprotokoll des Archidiakonates Carden erfahren wir auch,
daß der Priester auf dem Widdenhofe wohnte, in welchem er die
Visitation zu bewirten hatte. Der Küster oder der Meßner
mußte bei der Visitation Wein, junge Hühner und die
Wachslichter stellen.
Die Kirche, welche dem St. Georg geweiht
war, muß wohl von einem Patron, oder der Gemeinde erbaut worden
sein, jeden-
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falls
hatte die Gemeinde das Kirchengebäude zu unterhalten, während
die Chorherren von St. Castor den Chor zu erhalten hatten.
Das für
die Kirchengemeinde wichtigste Ereignis ist die Einführung
der Reformation.
Der Landgraf Philipp von Hessen hatte sich schon früh der
evangelischen Bewegung zugewandt. Im Jahre 1524 war er,
wahrscheinlich auf der Reise nach Heidelberg, auf welcher er mit
Melanchton zusammentraf, in Werlau gewesen. Das Werlauer
Gerichtsweistum berichtet darüber.
»Als aber 1524 der
Hochgeborene Fürst und Herr Philipp von Hessen, der Großmütige
genannt, nach Werlau die Pfarrei zu visitieren kommen und sobald
umbfragen lassen, was einem Pfarrer jährlich zur Besoldung
gebührte, der Vorsteher samt ganzer Gemeinde verantwortet, daß
ein Pfarrer jährlich an Besoldung von St. Castorherren
Einkommens hätte 2 Fuder Wein, Werlauer Gewächs, 2 Fuder
Stroh aus der Zehntenscheuer der Gemeind vom (?) zehnten Stroh zu
leisten und dreizehn Malter Korn aus der Zehntenscheuer«.
1527
schichte Philipp den Magister Adam Krafft zur Kirchenvisitation nach
St. Goar um festzustellen, ob die Reformationsbeschlüsse der
Synoden zu Homberg 26 und Cassel durchgeführt wären. Auch
in Werlau fand diese Visitation statt. Dort war der katholische
Geistliche nicht im Amte geblieben, weil er nicht mit zur
evangelischen Lehre übertreten wollte. Sein erster evangelischer
Nachfolger Heinrich Sprengel berichtet darüber: »Es habe
die Gemeinde zu Werlau im 28. Jahre nach der Geburt Christi
(?unleserlich) Zahl eines papistischen Pfaffen gebraucht, welcher
nach vollbrachter Uebeltat und Abgunst des Evangeliums und nach
erlangtem Geleite seinen Hausrat hinweggebracht hat«. Sein
erster evangelischer Nachfolger Heinrich Sprengel berichtet darüber:
»Es habe die Gemeinde zu Werlau im 28. Jahre nach der Geburt
Christi (? unleserlich) Zahl eines papistischen Pfaffen gebraucht,
welcher nach vollbrachter Uebeltat und Abgunst des Evangeliums und
nach erlangtem Geleite seinen Hausrat hinweggebracht hat«.
Derselbe berichtet von der Übergangszeit: »Bevor man dem
paapistischen Pfäffen, welcher nach vollbrachter Uebelthat
entlaufen, zur Abholung seines Hausrates freies Geleit bewilligte,
habe derselbe bei Eid und Pflicht verlobt der Gemeinde zu Werlau die
Pfarregister zu Handen zu stellen und doch nit gethan«.
Aus
diesen Bemerkungen können wir ersehen, daß auch in Werlau
der Reformation durch Mißstände in der kirchlichen
Bedienung vorgearbeitet wurde. Die Einführung derselben ist
weniger aus dem religiösen Bedürfnis der Gemeinde, als aus
den Bemühungen des Landesherren zu erklären. Wenn wir
lesen, daß von ca. 300 Einwohnern des Dorfes ungefähr 15
katholisch blieben, so gehen wir wohl nicht fehl, wenn wir diesen die
vom Castor-
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abhängigen Zehntenknechte und Pächter sehen. Bei einer aus
der Gemeinde hervorgehenden Bewegung würde auch mehr
Opferfreudigkeit und Dank für die Segnungen des Evangeliums
hervorgetreten sein; hat es doch große Schwierigkeiten gemacht,
die von dem katholischen Priester mitgenommenen Pfarr-Register wieder
herzustellen und das Einkommen des Pfarrers so zu erhöhen, daß
die Familie davon unterhalten werden konnte.
Nach der Flucht des
Priesters konnte nicht gleich ein evangelischer Pfarrer eingesetzt
werden. Daher übernahm der Pfarrer Gerhardt Ungefuge, gen.
Eugenius, von St. Goar die Versorgung der Gemeinde, bis in Heinrich
Sprengel eine geeignete Kraft sich fand. Freilich wird in dem alten
Verzeichnis des Pfarrer Sprengel nicht genannt, wahrscheinlich
deshalb, weil er nur als Gehülfe des Mag. Eugenius angesehen
wurde. Mit dieser ersten Versorgung von St. Goar aus hängt auch
die Verbindung mit Holzfeld zusammen. Denn Holzfeld gehörte
vorher zu St. Goar, mußte die Gemeinde doch dorthin ihre Toten
bringen, - daher noch jetzt der Totenweg, welcher in das
Gründelbachtal führt - und hatte das Gitter an einer Seite
des alten Kirchhofes in St. Goar zu unterhalten. - Als nun dem St.
Goarer Pfarer ein Gehülfe in Sprengel gestellt wurde, war es
natürlich, daß diesem Holzfeld mit übertragen
wurde.
Wie schon erwähnt, machte die Beschaffung eines
ausreichenden Einkommens für die Pfarrei Schwierigkeiten. Den
Stiftsherren wurde bei der Visitation 1527, welche von Krafft und
einigen hessischen Regierungsbeamten abgehalten wurde, auferlegt,
einen Zuschuß von 4 Malter Korn, Bopparder Maß, aus dem
Werlauer Zehntgefälle zu gewähren. Das Stift tat das nur
mit Widerwilen und nach 1533 mußte der Pfarrer Sprengel klagen,
»es läge der Dechant des fürgemeldeten Stiftes zu St.
Castor, Junker Johannes Ortscheid (früher Abt des Stiftes zu St.
Goar) ammt seinem Kapitel in Wehr solches zu hindern, und habe es
auch eine Zeitlang gehindert.« Dazu kam, daß durch die
Flucht des kath. Priesters die Pfarregister abhanden gekommen waren.
Um dem abzuhelfen, fand auf dem Gericht zu Werlau eine
Gemeindeversammlung statt, bei welcher jeder Eingesessene seine
Verpflichtungen angeben mußte. So wurde die erste Kompetenz
(Einkommennachweisung) ausgestellt, welche wir freilich nur noch in
einer Abschrift besitzen. Vgl. Seite 14.
Für das Auskommen
des Pfarrherren war gesorgt. Trotzdem ziehen sich durch die ganze
Werlauer Geschichte Kompetenzstreitig-
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keiten
zwischen dem Stift und der Pfarrei resp. der hessischen Regierung.
Besondere Schwierigkeiten ergaben sich, als infolge des
dreißigjährigen Krieges die Weinberge und Äcker zum
Teil unbestellt blieben, ja sogar Wald oder Brachland wurden. Der
Ertrag des Zehnten ging dadurch natürlich zurück und das
Stift suchte dementsprechend auch den Anteil des Pfarrers zu kürzen.
Besonders heftig und lang war der Streit um die competenzmäßg
zu liefernden 2 Fuder Wein, welche das Stift garnicht liefern, oder
mit einer durchaus unzureichenden Abfindungssumme ablösen
wollte.
Als erster selbständiger Pfarrer augustanae
Confessionis
(augsburgischen Bekenntnisses) wird der Magister Justus Gryphius
(Greif) genannt. Er war der Sohn des Superintendenten Greif aus St.
Goar. 1598 machte er einen Vertrag mit Castorstift über den zu
liefernden Wein und noch 1604 wird er von Werlau nach St. Goar
zitiert, um bei Beilegung eines Streites zwischen seinem Vater und
dessen Amtsgenossen Zindel mitzuwirken.
Sein Nachfolger war
Philippus Intelius. Bei seinem Namen ist der Zusatz gemacht: »sed
Calvinista«
d. h. ein Anhänger Calvins. Wir sehen, daß auch nach
Werlau der Streit um das lutherische und reformierte Bekenntnis
getragen ist, der um die Wende des 16. Jahrhunderts in den hessischen
Landen entbrannte. Wahrscheinlich ist der Pfarrer Intelius durch
Einfluß des, der reformierten Lehrauffassung zuneigenden,
Landgrafen Moritz nach Werlau gekommen. Es handelte sich vor allem um
das Brotbrechen beim Abendmahl, die biblische Zählung der
Gebote, die Ubiquitätslehre und einige Äusserlichkeiten. So
wurde z.B. als unstatthaft angesehen, beim Begräbnis drei
Schaufeln Erde auf den Sarg zu werfen, eine Anschauung, die sich bis
heute erhalten hat. Der Bekenntnisstand der Gemeinde ist hierdurch
kaum beeinflußt worden; vielmehr blieb derselbe
lutherisch.
Schnell aufeinander folgten die Pfarrer Paulus-Langius
und Heinrich Spygelius, denn schon 1637 wird Magister Nicolaus
Breidenbach genannt. Ihre Amtsführung fällt in die schwere
Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der auch unserer
Gemeinde mancherlei Not brachte. 1618 bestand das Haus aus 45
Häusern, deren Zahl 1667 auf 27 zurückgegangen ist. Auch
die Besitzverhältnisse waren unklar und verwirrt geworden,
sodaß 1664 am 5. Juli auf dem Rathause zu Werlau eine genaue
Aufstellung gemacht werden mußte. Von Breidenbachs Hand rührt
auch die älteste Pfarrkompetenz her, welche eine Abschrift der
ca. 1550 aufgestellten
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Nachweisung
ist. Am 27. Januar 1670 starb Breidenbach und Magister Christophel
Werner wurde sein Nachfolger. Er war der Sohn des Oberschulteißen
und Oberwegemeisters zu Ruppertshofen. Die Gemeinde hätte lieber
einen Magister aus St. Goar gehabt, aber das Stift präsentierte
Werner. Im Jahre 1673 legte er das noch vorhandene »Sahl und
Kirchenbuch« für die Gemeinde in Gegenwart der Senioren
(Presbyter) und Censiten (steuerpflichtige Gemeindeglieder) an. Als
Werner im Jahre 1688 seinen Bruder, der Pfarrer in Singhofen an der
Lahn war, besuchte, brannte während seiner Abwesenheit, am 4.
August das ganze Dorf sammt Kirche und Pfarrei infolge eines
Gewitters ab. Nur 7 der schlechtesten Häuser und 3 Scheunen
blieben stehn. Bei dem Brand kamen auch die Obligationen und
Schuldbriefe der Gemeinde um.
Auch Werner mußte über
Zurückhaltung der Weinlieferung durch das Stift klagen. 1675 gab
das Stift zum ersten Male Antwort auf seine Beschwerde. Obwohl sich
die hessische Regierung für den Pfarrer verwandte, zog sich der
Streit bis in das Jahr 1681 hin, bis schließlich der
Reservatskommissar in St. Goar den Zehnten in Beschlag nehmen ließ.
Da endlich scheint die Zahlung erfolgt zu sein. Das Stift rächte
sich dadurch, daß es den Neuaufbau der verbrannten Kirche und
Pfarrgebäude möglichst in die Länge zog. Im Dezember
91, also nach fast 4 Jahren mußte Werner sich beklagen, daß
er ins 4. Jahr den Gottesdienst unter dem freien Himmel, in Hitze und
Frost, Kälte, Regen, Schnee, Wind und Ungestüm ohne
jeglichen Schutz abhalten mußte. Dazu war er selbst ohne
Haushaltung und verlangte, daß das Stift für Logiment
sorge. Aber selbst die Drohung der hessischen Regierung den Zehnten
mit Arrest belegen zu wollen, konnte die Stiftsherren nicht
veranlassen, etwas zu tun. Sie fanden einen guten
Entschuldigungsgrund in den inzwischen ausgebrochenen Kriegsunruhen,
welche einen Bau unmöglich machten. 1695 wurde nämlich das
Dorf von den Truppen Ludwig XIV. von Frankreich besetzt und von dort,
sowie von Biebernheim aus die Feste Rheinfels belagert. Wiederum neue
Drangsal kam über die Gemeinde, welche durch Fouragen und
Frohnden schwer gedrückt wurde. So können wir es wohl
verstehen, wenn der Pfarrer klagt, daß ihm von den Censiten
keine Bezahlung geleistet wurde.
Um das Elend des Armen voll zu
machen, ward er auch noch von dem Kommandanten der Burg Rheinfels,
General Götz
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in die belagerte Feste befohlen »zur Aufmunterung der Kämpfenden und zum Trost der Verwundeten und Sterbenden.« Dort ward er bei einem Gang zum Lazarett durch eine Stückkugel an Haupt und Schulter verwundet und lag lange krank. Eben geheilt machte er sich im Mai 1695 auf den Weg nach Schwalbach, wo der Landgraf Karl gerade sich aufhielt und überreichte demselben persönlich eine Bittschrift, für seine Gemeinde. Der Erfolg war, daß er am 2. Juni die »gnädige Resolution erhalten, daß die Stiftsherren bei gegenwärtigen Kriegszeiten nicht wohl zur Wiedererbauung von Kirch und Pfarrhaus angehalten wären.« *)
*) Das Schicksal des Christ. Werner ist in einem Volksstück gleichen Namens vom Verfasser bearbeitet und im Jahre 1903 von Gemeindegliedern aufgeführt worden.- Druck von J. Wilbert, St. Goar.-
Den
Erfolg seiner Bemühungen erlebte Werner nicht mehr; 1696 starb
er, während der Bau 1697 endlich begonnen wurde.
Sein
Nachfolger Heinrich Ebenau konnte ins Pfarrhaus einziehen. Gebaut
hatte das Stift zwar, aber wie es gebaut hatte, zeigt uns eine
Rechnung, die Ebenau schon 1700 den Stiftsherren über notwendige
Reparaturen am Pfarrhaus schicken mußte. Die Kirche war 1698
fertig gestellt. Der Bauplan war vom Zimmermeister Gauck entworfen,
die Bausumme betrug 220 Thlr 22 Alb. 5 Pfg. Noch im Jahre 1707 hatte
die Gemeinde einen Rest der Bauschuld von 29 Thlr. 12 Alb. 5 Pfg. zu
zahlen. Das Stift scheint wiederum nur den Chor hergestellt zu haben
und es bestätigt sich unsere früher geäußerte
Meinung, daß das Schiff Eigentum der Gemeinde war. Aus den
Rechnungen ergiebt sich, daß die Kirche einen Turm,
wahrscheinlich einen Dachreiter mit einer Glocke, hatte. Auch Ebenau
war wider den Willen der Gemeinde nach Werlau gekommen und scheint
nie das volle Vertrauen seiner Gemeindeglieder besessen zu haben. Im
Jahre 1723 bat er infolge einer Erkrankung, daß ihm sein Sohn,
Georg Anton, als Adjunkt beigegeben werde, aber schon im August
desselben Jahres starb er. Von seiner Hand ist das Sahl- und
Kirchenbuch der Herrschaft Holzfeld angefangen und in Gegenwart der
Senioren und Censiten rektifiziert. Wohl mit Rücksicht auf die
Familie des Verstorbenen wurde sein Sohn und Adjunkt Georg Anton
Ebenau zu seinem Nachfolger ernannt. Derselbe starb schon am 25. Mai
1729. Bis zum Jahre 1730 blieb die Pfarrstelle unbesetzt. Der Grund
war, daß der zum Pfarrer ausersehene Kandidat Matthias
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Wagner auch nicht den Beifall der Gemeinde fand, sondern von einigen Gemeindegliedern verdächtigt worden war. Dagegen protestierten der Gerichtsschöffe Reinhard Michel im Namen des mehrsten Teils der Gemeinde Werlau und der Kirchenälteste Joh. Geord Lang im Namen der Gemeinde Holzfeld. Sie wiesen auf die notwendige, so lange versäumte Unterweisung der Jugend und die nahbevorstehende Osterzeit hin, welche eine baldige Besetzung nötig machten. Ihrem Antrag wurde nachgegeben und am 17. März 1730 fand die Einführung Wagners statt.
Hierbei hören wir zum ersten Male von einem Vergleich, den Wagner mit der Witwe seines Vorgängers in betreff des Stelleneinkommens machte, und erkennen daraus, daß schon damals die Witwenversorgung in etwa geregelt war.
Johann
Matthias Wagner war der 1703 geborene Sohn des Pfarrers Abraham
Wagner von Pfalzfeld. Auch er hatte allerlei Schwierigkeiten mit dem
Stift St. Castor, sowohl wegen der Unterhaltung der Gebäude, als
wegen der vom Stift zu leistenden Beiträge zur Pfarrbesoldung
und mußte die Hülfe der hessischen Regierung anrufen, um
die seit dem Jahre 1746 ausstehende Besoldung zu erhalten. Er
beschwerte sich, daß die Pfarrscheune so schlecht und klein
sei, daß das Stroh und Korn verdürbe, oder gegen Mietzins
in anderen Scheunen untergebracht werden müsse. Nach 4jährigem
Prozesse setzte er es durch, daß das Stift am 19. Februar 1750
angehalten wurde, die Gebäude besser zu observieren, ihm den
Scheunenzins mit 1 Thlr. zu ersetzen und den Wein mit 10 Thlr. das
Ohm zu vergüten. Das Stift kümmerte sich nicht um den
Bescheid. Da wurde am 24. Okrober 1750 auf eine Exekution gegen
dasselbe erkannt und Leutnant Meyer requirierte 2 Mann der bewährten
Landmilize, dem Hofmann des Stiftes einzulegen. Das Stift antwortete
mit einer großen Rechtfertigungsschrift und hielt auch die
ausser Streit stehenden Abgaben an den Pfarrer zurück, bis ihm
schließlich 1752 am 29 Juli eine 14tägige Frist gestellt
wurde, während derer es seinen Verpflichtungen nachkommen mußte.
In die Zeit Wagners fällt der siebenjährige Krieg, den
Hessen auf Seiten Preußens mitmachte. infolgedessen kamen
wiederum französische Truppen unter dem Oberbefehl Soubise's
in's Dorf. Dabei spielte sich folgende Episode ab, über die
Wagner selbst berichtet:
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»Ew.
Hochwohlgeborenen, Hochverehrtestem Herrn Rath habe gehorsamtst
berichten sollen, welcher Gestalt am 29. des Mittags
nächstverflossenen Monats allhier zu Werlau von dem franz.
Regiment Cavallerie du Korps 4. Compagnie sambt dem staab eingerückt,
welche 160 Pferdte ohne die Maulesel, Bagage, Wagen und Karren
ausmachten, wovon bey mir als zeitlichem Pfarrer zum aller ersten der
Major mit 4 Knechten und 6 Pferdten einquartiert worden, nach
Verfließung etlicher Stunden kam der Regimentspater mir als dem
Pfarrer anzusprechen, bey wlchem ersten Besuch derselbe sich nicht
sonderliches merken laßen. Des Abends ohngefähr nach 6 Uhr
in der Nacht kam der Regimentspater wieder und sagte in lateinischer,
aber sehr unvernehmlicher Sprache - teutsch konnte er nicht - morgen
haben wir das festum Sancti Andrae (30. Nov.) so wolle er eine Meß
zelebrieren, propter
commodidatem regimenti
aber wolle er solche in der Kirch lesen, wie er das auf der Reiße
ahn mehreren Orten gethan hätte. Ich antwortete die Kirche
könnte ich ihm dazu nicht gestaten, dazu müßte ich
höheren Ortes deßhals zuerst Befehl haben, zu dem glaubte
ich nicht, daß auf dieser Reyse er in evangelischen Kirchen
eine Meß gehalten. Darauf replicierte er; wenn der Pastor es
nicht erlauben wolle oder können, so wollte er es vor sich thun
-
pro
me faciam
waren seine Worte - darauf nahm er Abschied.
Des Morgens zwischen
9 und 10 Uhr des anderen Tages kam er wieder in Begleitung einer
Menge der Herren Offiziers, welche bey dem Major ansprachen: Die
erste Worte und Ansprache waren:
clavem
volohabere ad templum
(ich will den Schlüssel zur Kirche haben)
clavem
volo.
Ich gabe zur Antwort, daß mich sein Annsinnen wundere, indem
der Herr Marchal Prinz de Soubise und zuletzt der Herzog von Broglio
solches untersagt, gar mißbilligt und nicht Dulden wollten,
antwortete er mir, davon wüßten sie nichts, und wäre
nicht.
Clavem
volo ad templum,
welches
mit einem zornigen Gesicht und erhobenem Thon außgesprochen
worden. Ich replicierte des Herrn Regimentspater sein Ansehen und
Befehle reichten nicht hin. Darauf ging er fort und redete mit den
Officieren auf französisch, welches aber nicht verstehen konnte.
Sogleich nach einer Viertelstunde kam der Obrist in Begleidung des
Regiementspaters - die übrigen Offiziere waren indessen auf dem
Kirchhof stehen geblieben - forderte den Schlüssel zur Kirchen:
»Kirchenschlüssel her, Kichenschlüssel her.«
Der
Schuldiener antwortete, er hätte solchen nicht sondern der
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Pfarrer;
darauf wollte er das extremum nicht erwarten, ließ denselben
folgen, (zumahlen da alle Anzeige gaben, daß es von hiesigen
Katholiken möge angestellt worden seyen.) Der Trompeter hatte
schon zweymal geblaßen und war in dem 11 Uhr, da der Schlüssel
hergegeben worden.« So ist damals die letzte Messe in der
Kirche gelesen worden. Wagner hatte auch Schwierigkeiten mit der
kurpfälzischen Regierung, weil dieselbe sich verschiedentlich
Eingriffe in Holzfelder Kirchenangelegenheiten erlaubte. So im Jahre
1733 als aus der dortigen Kirche die eben neugekaufte Glocke unter
Beihülfe des kurpfälzischen Amtsverwalters mit bewaffneter
Hand aus der Kirche geholt und nach Hirzenach auf's Amtshaus gebracht
ward, weil die evangelischen Eigentümer der Kirche und der
Glocke nicht gestatten wollten, daß die Katholiken dieselbe
mitbenutzten. Auf des Pfarrers Vorstellung hin ward die Herausgabe
der Glocken von Hessen erzwungen.
Ein heftiger Streit brach 1753
aus, als der Kurfürst von der Pfalz als Territorial Herr eines
Teils von Holzfeld verlange, mit in das Kicrchengebet eingeschlossen
zu werden. Mit äußerster Zähigkeit hielt Wagner an
seiner Weigerung fest, die er seinem hessischen Landesherrn schuldig
zu sein glaubte und ließ sich weder durch die Beschlagnahme der
Holzfelder Einkünfte, noch durch die Anweisung seiner eigenen
Behörde, die 1761 an ihn erging, zur Nachgiebigkeit bewegen. Bis
zu seinem im Jahre 1772 eintretenden Tode betete er nur für den
hessischen Landgrafen.
Zur Zeit Wagners im Jahr 1766 wurde auch
die Kirche umgebaut. Es wurde der Turm vor die Kirche gestellt und
eine 2. Glocke auf der Messe in Frankfurt gekauft. Im Inneren der
Kirche wurde an einer Seite die Empore angelegt. Schon seit dem Jahre
1767 war dem Pfarrer sein Sohn Christian Georg Wagner adjungieret,
doch citra
spem succedendi
ohne (Anspruch sein Nachfolger zu werden.) Als aber 1772 der Vater
starb, ward dem Sohn doch die Pfarrstelle übertragen.
Als
Erbstück ward ihm von seinem Vater der Widerstand gegen die
kurpfälzischen Ansprüche hinterlassen. Auch er weigerte
sich die Herrenrechte des Geschlechts über die Kirche
anzuerkennen und noch 1788 konnte er nach Cassel berichten, daß
keine der von der Kurpfalz erlassenen Verfügungen beachtet
sei.
Im Jahre 1790 ward eine eingreifende Umgestaltung der inneren
Kirche vorgenommen. Der den Chor gegen das Schiff abschließende
Bogen ward abgebrochen. Die Steinpfeiler an den
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Seitenwänden
der alten Kirche bezeichneten noch seinen Platz und der in Stein
gehauene St. Georg, jetzt in der Orgelempore, bildete sicher den
Schlußstein des Bogens. Eine neue Tür, welche beim Abbruch
sich deutlich abhob, zugemauert. Der Boden wurde mit Steinplatten
belegt und auf dem Chor das Gestühl sowie die Orgelempore
angebracht, auch eine zweite Seitenempore eingebaut. Die früher
an der Kirche gelegene Sakristei, - die Fundamentmauern neben der
kleinen Tür bezeichneten ihre Lage - wurden auch abgebrochen,
nachdem die Gerichtsschöffen und der Pfarrer ausdrücklich
erklärt hatten, daß sie ihre Wiederherstellung niemals
fordern würden. Zu diesem Bau erhielt die Gemeinde 1791 am 1.
Januar eine Beihüle von 70 Gulden aus dem Überschuß
des Kirchenkastens. Ein Gesuch um weitere Unterstützung wurde
abgelehnt. Der Kostenaufwang belief sich für die
Schreinerarbeiten auf 202 Thlr. 86 Kreuz.,für die Maurerarbeiten
auf 103 Thlr. und für die Zimmerarbeiten auf 170 Thlr. 60 Kreuz.
Erstere führte Johann Balthasar Fuchs aus, letztere Gerhardt
Newehr. Für die Umgestaltung des Chores bedurfte es wiederum der
Genehmigung und Beihülfe des Stifts, welche nach einigem
Sträuben gewährt wurde.
Wagner machte mit seiner
Gemeinde die schwere Zeit der französ. Invasion durch. Anfang
October des Jahres 1797 waren die Revolutionsheere unter Jourdan in
Coblenz eingerückt und zogen über den Hunsrück nach
Süden. Am 30. Oktober besetzten die Franzosen Werlau. Harte Tage
voll äußerer Not und innerem Weh brachen über die
Gemeinde herein. Wie schwer die Kriegslasten auf ihr lagen, mag man
aus der Bemerkung des Pfarrers schließen, daß vom 1.- 30.
Nov. 76 Personen im Pfarrhaus einquartiert oder zu verpflegen waren.
Es waren meistens die höheren Offiziere mit ihrem ganzen Troß.
Wie dieselben gelebt zeigt die Bemerkung am Ende der
Zusammenstellung: »Dazu haben sie 2 1/2 Ohm von meinem Wein
getrunken.« Die Gemeinde selbst war durch die schlimme Zeit
»alle Tage ärmer aber auch zugleich leichtsinniger,
sittenloser und verwildert.« Die Pfarreinkünfte flossen
sehr dürftig. Sowohl das Holz, das die Gemeinde zu liefern
hatte, als auch die Abgaben einzelner wurden teils aus Armut, teils
aus Unverstand oder Habsucht verweigert. Die Schlagworte der
Revolution von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit spukten auch
in den Köpfen unserer Leute und man war zu dem Glauben gekommen,
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daß
nach Aufhebung der Klöster und Stifter man auch aller
kirchlichen Lasten und Verpflichtungen ledig sei. Wir brauchen uns
deshalb nicht zu wundern, wenn wir lesen, daß der Pfarrer sein
ganzes Einkommen vom Jahre 1800 auf 5 Malter Korn, 3 Malter Gerste,
17 leichte Gulden an Geld und 20 Bauchen oder Gebund an Stroh angibt.
Aus allen diesen Gründen wünschte Pfarrer Wagner sehnlichst
in andere Verhältnisse zu kommen, und bat wiederholt in Cassel
um seine Versetzung auf das andere Rheinufer. Als Antwort erhielt er
die Erlaubnis sich einmal um eine erledigte Stelle dort bewerben zu
dürfen.
Noch andere Nöte hatten Pfarrer und Gemeinde zu
ertragen. Schon 1796 wurde den Gemeindegliedern durch eine Verordnung
des Generaldirektors der Verwaltung der eroberten Lande zwischen
Rhein und Mosel jegliche Abgabe an die Bischöfe, Geistlichen,
Domherren, Pfarrer etc. verboten und wenn man auch bemüht war
durch eine möglichst genaue Aufstellung der Pfarreinkünfte
und durch Staatbeihülfen für eine ausreichende Besoldung zu
sorgen, so haben wir doch gesehen, in welche Not die Geistlichen
gerieten. Sehr schmerzlich mußte es der Geistliche empfinden,
daß ihm 1799 mit Einführung der franz. Civilstandslisten
sämtliche Kirchenbücher der Gemeinde genommen und dem Maire
von St. Goar übergeben wurden. Dadurch verlor der Pfarrer nicht
nur eine beträchtliche Einnahme durch Ausfall der Stolgebühren,
viel größer ist der Verlust für die Gemeinde selbst,
und es ist bitter zu beklagen, daß auf dem linken Rheinufer
diese wichtigen Dokumente des Gemeindelebens den Gemeinden noch immer
vorenthalten werden.
Wie viel und oft wurde auch das nationale
Empfinden verletzt. So z.B. als bei dem 1802 abgeschlossenen Frieden
zwischen der Republik und England der Maire von St. Goar, Lazarus
Wolff an den Pfarrer schrieb:
»An den Bürger Wagner,
lutherischen Pfarrer zu Werlau. Bürger! Den 18. dieses Monats,
Jrumaire oder den nächsten Montag wird in Gemäßheit
eines Beschlusses der Konsule im Umfang der ganzen französischen
Republik das Friedensfest zwischen der Republick und England
gefeiert.
Sie werden daher auf Befehl des Präfekten ersucht,
auf diesen Tag in dem zum Gottesdienst geeigneten Gebäude den
Universalfrieden feyerlichst zu proklamieren. Bürger, Sie haben
die beste Gelegenheit, Ihre Kirchenkinder am Herzen zu legen, wie
sehr die jetzige Regierung alle unsere Wünsche entsprochen hat,
und ich zwei-
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fele
nicht, daß Sie durch Ihre Beredtsamkeit die leeren und
lächerlichen Hofnungen der Zurückkunft der alten
Herrschaft, welche sich die Eitelkeit und Leichtgläubigkeit noch
schmeichelt, gänzlich verschwinden machen werden.«
Selbst
zum Chausseebau sollte der Pfarrer mit Schüppe und Hacke zur
Frohnde antreten, oder 15 Frcs. Strafe zahlen, ein Ansinnen, das
derselbe allerdings unter Hinweis auf seine Stellung und sein Alter
scharf zurückwies.
Aus diesem Elend rief ihn im Jahre 1803 am 13. April der Herr durch den Tod ab. Er war 59 Jahre 10 Mon. 25 Tage alt geworden. Die Not seiner Familie war groß, hinterließ er doch 9 unversorgte Kinder. Der älteste Sohn lag noch seinem Studium ob. Da bat dann die Mutter ihr bis zur Beendigung derselben das Einkommen der Pfarrstelle zu überlassen und das Amt durch einen Vikar versehen zu lassen. Es wurde ihr gewährt und so ward Vikar Krämer nach Werlau berufen. Ob er allein, oder noch andere Vikare dort waren, ist nicht klar ersichtlich. Jedenfalls kam Karl Christian Wagner erst im Jahre 1807 in sein Amt. Er war, da er am 22. Dez. 1786 geboren, erst 21 Jahre. Seine Amtszeit fällt in die Tage der schwersten Demütigung unseres Vaterlandes. Besonders schmerzlich muß es uns berühren, wenn wir lesen, daß der Konsistorial-Präsident Jakobi nach der Schlacht bei Eylau an den Kaiser Napoleon ein Glückwunschschreiben im Namen aller Evangelischen der eroberten Provinzen sandte und den Gemeinden dann mitteilen ließ, wie »sich unser allergnädigster Herr, der Kaiser Napoleon so huldreich über seine protestantischen Unterthanen äußerte.«
Glücklicher Weise kam bald Preußens Wiedergeburt und die von dort ausgehende siegreiche Erhebung. Wie wenig man den Bewohnern der linksrheinischen Lande damals traute, zeigt der Umstand, daß alle Standespersonen und so auch der Pfarrer Wagner den Verbündeten folgenden Eid schwören mußten: »Ich Endes Unterschriebener ... schwöre, daß ich weder öffentlich noch im geheimen, weder mittelbar noch unmittelbar, irgendetwas nachtheiliges für die Sicherheit der verbündeten Armeen thun, schreiben, oder berathen will, daß ich die mir ferner übertragene Verwaltung nur nach der Anweisung und für Rechnung der verbündeten Mächte führen, überall mich den Anordnungen der mir vorgesetzten Behörden, insbesondere des Generalguverneurs ohne Weigerung mich fügen werde, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort.«
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Nun
brachen bessere Zeiten an. Die materielle Lage der Pfarrer wurde
durch feste Regelung des Einkommens verbessert. Als dann mit dem
Frieden die hessischen Lande endgültig an Preußen kamen
und so auch Werlau, wurde die Gemeinde nach interimistischer
Verwaltung durch die weltlichen Behörden dem Kgl. Konsistorium
zu Coblenz und dem Superintendenten der Synode Coblenz
unterstellt.
Bei Einführung der Union in Preußen 1817
schloß sich die Gemeinde an. In Werlau waren 1/8 Reformierte
und 7/8 Lutheraner. Zum Zeichen der Vereinigung verwandte man vom
Jahre 1818 an beim heil. Abendmahl Brot, an Stelle der bis dahin
gebrauchten Hostien. Im übrigen behielt die Gemeinde ihren
lutherischen Bekenntnisstand. Auffälliger Weise ist damals über
die Union keine Urkunde ausgestellt. Das wurde am 1. Sep. 1845
nachgeholt. Dieselbe lautet: »Darüber, daß im Jahre
1817 die bis dahin lutherische Gemeinde Werlau, deren Presbyterium
und Repräsentation wir bilden, der Vereinigung der reformierten
und lutherischen Kirche beigetreten ist, den Namen evangelische
Gemeinde angenommen und den Abendmahlsritus der vereinigten Kirchen
eingeführt hat, und daß wir mit unserer Gemeinde der
Kirchenvereinigung immerdar treu bleiben wollen, ist gegenwärtige
Urkunde von uns ausgestellt und unterzeichnet worden.«
Am
28. Mai des Jahres 1830 ward die 300jährige Gedächtnisfeier
der Übergabe des Augsburgischen Konfession auch in Werlau
festlich begangen.
Im Jahre 1831 ward das noch jetzt stehende
Pfarrhaus erbaut und bezogen. Bis zum Jahre 1855 blieb Pfarrer Wagner
im Amte. Am 14. März jenes Jahres starb er.
Die Gemeinde
wünschte nun den Pfarrer Noel von Biebernheim zum Nachfolger des
Verstorbenen zu erhalten, aber das Kgl. Konsistorium, auf das die
Rechte des Castorstiftes übergegangen waren, schlug den Pfarrer
Carl Adolf Pfender vor und da die Gemeinde nichts gegen denselben
einzuwenden hatte, ward dieser im October dieses Jahres eingeführt.
Er war am 4. März 1810 als Sohn des Pfarrers Andreas, Friedr.
Pfender in Drulingen im Elsaß geboren. Nachdem sein Vater
später nach Simmern unter Dhaun, im Kreise Kreuznach versetzt
war, besuchte er das Gymnasium zu Kreuznach und studierte in Bonn.
Nach Ableistung seiner Dienstpflicht verwaltete er ein Jahr als
Rektor die lateinische Schule in Simmern und war von 1835 - 55
Pfarrer der Gemeinde
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Kellenbach
(Synode Simmern) und von 45 an auch Schulinspektor im Nebenamte.
Neben seiner pastoralen Wirksamkeit arbeitete er namentlich an der
socialen und wirtschaftlichen Hebung der Gemeinde. Bei Pflanzung und
Veredelung der Obstbäume und anderen landwirtschaftlichen
Anlagen, bei Flurvermessungen, sowie Anlage und Verwaltung der
Ersparnisse stand er seinen Gemeindegliedern mit Rat und That zur
Seite. Durch Anlegung des Thalwegs und Verbesserung des St. Goarer
Wegs hat er sich ein bleibendes Denkmal in der Gemeinde gesetzt.
In
der Kirche traf Pfender eine genaue Einteilung der Sitze nach
Geschlecht und Alter, sowie eine feste Ordnung für das Verlassen
der Kirche. Die Pfarrgüter wurden vermessen und mit Grenzsteinen
versehen. Die nördliche Grenze des Pfargartens wurde durch
Umtausch mit den Nachbarn gerade geführt (1865), auch wurde im
Jahre 1861 die jetzt noch in Gebrauch befindliche Orgel - allerdings
durch die Civilgemeinde - angeschafft. Die Gebrüder Stumm und
Schaunen lieferten dieselbe.
In die Zeit der Amtsführung des
Pfarrers Pfender fiel auch der Beginn der Arbeit des Elberfelder
Brüdervereins in unserer Gemeinde. Im Jahre 1862 kamen die
ersten Sendboten desselben nach Werlau und hielten unter großer
Beteiligung der Gemeinde, in dem ihnen bereitwillig zur Verfügung
gestellten Gemeinde- oder Schulsale Versammlungen ab. Etwa 10 - 12
Familien schlossen sich ihnen besonders an und hielten biblische
Besprechungen und kleinere Versammlungen in ihren Häusern ab.
Anfangs schien dieses keinen nachteiligen Einfluß auf das
Gemeindeleben zu haben, vielmehr giebt der Pfarrer diesen Leuten das
Zeugnis, daß sie den öffentlichen Gottesdienst fleißig
besuchten und sich gegen ihr Leben nichts einwenden lasse. Zwar kamen
auch darbistische und baptistische Prediger nach Werlau und sprachen
in der Versammlung, aber ohne Boden zu gewinnen.
Der Pfarrer hielt
sich der Bewegung gegenüber neutral und abwartend, dagegen
sprach sich in einer Gastpredigt ein auswärtiger Geistlicher
deutlich gegen die Versammlung aus und warnte die Gemeinde vor ihren
Leitern. Dadurch wurde die Gemeinschaft stutzig und zu engerem
Zusammenschluß veranlaßt. Sie suchten allerdings durch
öffentliche Versammlungen, zu denen sie Pfarrer und Gemeinde
einluden, ihren Einfluß auszudehnen. Als der Pfarrer ihnen nach
der Seite hin im Jahre 64 eine deutliche Absage gab, mit der
Begründung, daß er wegen seines Amtes und seiner Gemeinde
sich nicht an Sonderbestrebungen beteiligen könnte, und
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auch
selbst Gelegenheit genommen hatte, in Predigt und Gespräch auf
die Gefahren solcher Bestrebungen hinzuweisen, zogen sich die
Anhänger des Brudervereins vom öffentlichen Gottesdienst
zurück, ja einer sogar, - ein junger Mann von 25 Jahren, -
äußerte öffentlich, daß in der Kirche das Wort
Gottes nicht lauter und rein verkündet werde. Das erbitterte die
Gemeinde und die Gemeindevertretung drängte den Pfarrer, der die
Sache auf sich beruhen lassen wollte, um der Gemeindewillen gegen
diese Anklage Beschwerde zu führen. Seitdem besuchte dieser
junge Mann die Kirche garnicht mehr, die anderen nur noch selten.
Dazu kamen sie aber nicht nur durch den äußeren Gegensatz,
vielmehr kamen innere Bedenken dazu.
Namentlich an der Verwaltung
der Sakramente nahmen sie Anstoß. Mit »Ungläubigen«
wollten sie das Abendmahl nicht feiern und hielten dasselbe deshalb
abgesondert in den Häusern hin und her. So feierten sie es
anfangs in der Weirichs Mühle bei Pleitzenhausen. Auch die
Zulässigkeit der Kindertaufe erschien einigen unter ihnen
zweifelhaft, und die rechte Durchführung einer geistlichen Zucht
in der Gemeinde vermißten sie sehr. Andere Zwischenfälle
verschärften den Gegensatz und schließlich bildeten die
kirchlichen Beiträge das einzige Band zwischen Gemeinde und
Versammlung. Ihre Zahl nahm aber auch infolgedessen nicht zu, sondern
hat eher abgenommen, da nicht nur der Pfarrer, sondern die Mehrzahl
der Gemeindeglieder an der Sonderstellung dieser Leute Anstoß
nahm.
Am 17. Aug. des Jahres 1966 trat Pfarrer Pfender in den
Ruhestand. Bis zu seinem Tode im Jahre 1891, den 5. Januar, lebte er
in der Gemeinde, ihr und seinem Amtsnachfolger auch fernerhin mit Rat
und Tat dienend. Ein nichtordinierter Kandidat Milner versah das
Pfarramt, dessen baldige Besetzung vom Kgl. Konsistorium betrieben
wurde. Die Gemeinde hätte am liebsten Milner behalten, aber die
Behörde übertrug dem Pfarrer Anton August Günther die
Pfarrstelle. Derselbe war am 4. Juli 1819 zu Paderborn als Sohn des
dortigen Pfarrers geboren. Er besuchte das Gymnasium zu Minden und
studierte in Halle a.d.Saale. Er war Pfarrer der Gemeinde Niederdorf
a.d holländ. Grenze. Obwohl die Gemeinde gegen Wandel und Lehre
des Ernannten nichts einzuwenden hatte, sträubte sie sich doch
denselben anzunehmen; einmal weil sie Milner gerne behalten hätte,
dann aber auch, weil ihm der Ruf voran ging, er hielte es mit der
Versammlung. Tatsächlich nahm diese Anfangs wieder regen Anteil
am Gottesdienst
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und
Gemeindeleben, zog sich aber, weil sie das gewünschte
Entgegenkommen nicht fand, später wieder vom Gemeindeleben
zurück. Der im Jahre 1875 vollzogene gerichtliche Austritt von 4
Familien trug nur zur Klärung der Verhältnisse bei. Es sei
hier gleich hinzugefügt, daß sich diese Zahl nicht
vermehrt hat. Die gottesdienstlichen Versammlungen hielten die
Ausgetretenen in einem Hause ab, bis es ihnen im Jahre 1892 möglich
wurde, einen schlichten Betsal zu bauen.
Am 7. Januar 1867 wurde
Pfarrer Günther in sein Amt eingeführt. Der Anfang seiner
Wirksamkeit war sehr schwierig. Nicht nur daß man ihm bei
seinem Einzug - er kam mit seiner jungen Frau - keinerlei Hülfe
und Handreichung gewährte, es hielt sich auch noch ein Teil der
Gemeinde aus den oben erwähnten Gründen eine Zeitlang dem
Gottesdienst fern und ging lieber nach St. Goar zur Kirche. Das
gleichmäßige -wesen und Stille Wirken des Pfarrers
überwand aber bald diese Zeit des Mißtrauens.
Pfarrer
Günther durchlebte mit seiner Gemeinde die Tage des großen
Krieges von 1870 - 71. An dem vor dem Kriege ausgeschriebenen Bußtage
brach während des Gottesdienstes ein furchtbarer Wolkenbruch
über das Dorf und die Flur herein. So stark kamen die
Regengüsse, daß in kurzer Zeit das Wasser des Baches in
Keller, Scheunen und Ställe drang und der Gottesdienst
abgebrochen werden mußte um die notwendigen Rettungsarbeiten zu
tun. In diesem Jahre am Trinitatissonntag, den 26. Mai, erlebten wir
ein ähnliches Unwetter, nur daß demselben noch ein 3/4
stündiger Hagelschlag voran ging.
Es ist keiner der Werlauer
Krieger im Kampfe gefallen, trotzdem mehrere manche schwere
Schlachten mitgemacht haben.
Kurze Zeit nach dem Kriege ward das
Dorf von einer schlimmen Typhus-Epidemie heimgesucht. Ganze Familien
wurden von der Krankheit ergriffen und hingerafft.
Pfarrer Günther
nahm sich besonders der Holzfelder Schuljugend an; diese mußte
die Schule in Werlau besuchen. Dem Pfarer wurde 1868 das Abhalten
einer Privatschule in Holzfeld gestattet, welche von Präparanden
versehen wurde, bis 1875 durch Errichtung einer öffentlichen
Schule und Anstellung eines Lehrers und im Jahre 18 durch den Bau
eines schulhauses mit Lehrerwohnung allen Bedürfnissen Rechnung
getragen wurde.
Im Jahre 1892 wurde auch bei Anlegung des
Grundbuches der Besitzstand der Gemeinde amtlich festgelegt. Leider
ging ihr
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dabei
der Kirchhof durch Eintragung auf die Civilgemeinde verloren.
An
Pfarrhaus und Kirche mußten größere Reparaturen
vorgenommen werden. Das Pfarrhaus mußte an der unterkellerten
Seite neu unterwölbt werden, der Krichturm mußte von innen
verstrebt und von außen neu gedeckt werden. Dieses sollte der
Anfang einer durchgreifenden Kirchenreparatur sein. Dieselbe ist aber
nicht fortgesetzt worden. In körperlicher und geistiger
Rüstigkeit konnte Pfarrer Günther bis in sein 70.
Lebensjahr der Gemeinde dienen. Nur der Weg nach Holzfeld machte ihm
bei Winterwetter Beschwerde. Er erbat sich deshalb bei der
Pastoralhülfsgesellschaft einen Vikar. Diese sandte am 1. Nov.
1897 den Kandidaten Over.
Als
am 1. Oktober des Jahres 1898 Pfarrer Günther sein Amt
niederlegte, trat für die Gemeinde zum ersten Male das ihr vom
Könige gewährte Wahlrecht in Kraft. Die Wahl fiel auf den
bisherigen Vikar. Derselbe war am 14. März 1871 als Sohn des
Lehrers Ewald Over zu Essen geboren, besuchte das Gymnasium seiner
Vaterstadt und studierte in Halle, Berliln und Bonn. Nach dem 2.
Examen war er ein Jahr im Predigerseminar zu Soest und nahm nach
seiner Entlassung von dort die von der Pastoralhülfsgesellschaft
ihm angebotene Vikarstelle in Werlau an. Am 16. Januar 1898 wurde er
in Essen ordiniert.
Am 31. Sept. schied Pfarrer Günther von
seiner Gemeinde und zog sich nach Neuwied zurück. Dort war ihm
ein kurzer Feierabend beschieden. Am 16. März 1899 rief ihn der
Herr in die Ewigkeit.
Sein Nachfolger wurde am 16. Oktober in sein
Amt eingeführt. Auf seine Anregung wurde der Plan der längst
beschlossenen Renovierung der Kirche wieder aufgegriffen. Den
äusseren Anstoß dazu gab das Zerspringen der kleinsten der
3 Glocken, des sog. Bimmelchens. Es wurde ein völlig neues
Geläute von 3 Glocken, a, cis, e, angeschafft. Dieselben wurden
von der Firma Schilling in Apolda aus Bronze gegossen und am 18
Sptember 1900 eingeweiht. Sie tragen die Sprüche: Ehre sei Gott
in der Höhe - Und Frieden auf Erden - und den Menschen ein
Wohlgefallen. Obgleich dieselben nur einige Zentner schwerer als die
3 alten Glocken waren, zeigte sich doch, daß die Verstrebung
des Turmes nicht stark genug war und man sah sich gezwungen, den Bau
eines neuen Turmes zu beschließen. Das Gutachten des
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von der Kgl. Regierung gesandten Bauinspektors riet aber aus wirtschaftlichen Gründen von einem bloßen Turmbau ab, und empfahl den völligen Neubau der Kirche. Die Höhe der Kosten ließ aber diesen Plan zurücktreten. Erst als beim Abbruch des Turmes und der damit verbundenen Giebelwand der Architekt Bernhard erklärte, daß er den Umbau nicht ausführen könne, wurde der völlige Abbruch der Kirche beschlossen. Die Opferwilligkeit der Gemeinde stellte zu den bereits gesammelten 2000 Mk. noch 15000Mk. zur Verfügung und durch Bewilligung aus dem Hauskollektenfonds, in Höhe von 11150 einer Kirchenkollekte, welche 3172 Mk. ergab und die Unterstützung des Oberkirchenrates, welcher 3000 Mk. beisteuerte, wurde die Bausumme von rund 36000 Mk. aufgebracht. Die im Jahr 161 angeschaffte Orgel und die Glocken wurden zu dem neuen Bau verwandt. Am 12. März des Jahres 1907 als dem 300jährigen Geburtstag Paul Gerhardts wurde der Grundstein gelegt. Die in denselben eingeschlossene Urkunde hat folgenden Wortlaut:
Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.
Am
heutigen Tage, dem 12. März im Jahre des Heils
neunzehnhundertundsieben, am 300jährigen Geburtstage Paul
Gerhardt's, im zwanzigsten Jahre der gesegneten Regierung Sr.
Majestät des Kaisers und Königs von Preußen, Wilhelm
II., wird in Gegenwart des Pfarrers und der Gemeindevertretung, des
Moderamens der Synode und der benachbarten Pfarrer, des
Bürgermeisters und des Gemeinderates, sowie unter Teilnahme der
Gemeinde dieser Grundstein gelegt.
Mit dieser darüber
gefertigten Urkunde sind in den Grundstein eingesenkt:
1) Das
Verzeichnis sämtlicher Pfarrer der Gemeinde seit Einführung
der Reformation. 2) Das Verzeichnis der Gemeindevertretung. 3) Eine
Skizze und Grundriß der alten Kirche, sowie 4) die
Gesamtansicht und der Grundriß dieser Kirche. 5) Ein Festspiel
aus der geschichte der Gemeinde, das im Februar 1903 von
Gemeindegliedern aufgeführt wurde.
Die alte Kirche, an deren
Stelle diese neue gebaut wird, stammt aus ihren ältesten Teilen
aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts. Sie wird zum ersten Male
urkundlich 1341 in einem alten Weistum erwähnt. Sie hat bis zum
Jahre 1906 mancherlei Umbauten und Erweiterungen erlebt. Die
Baufälligkeit und
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der
Raummangel ließen im Jahre 1902 die größere
Gemeindevertretung einen Umbau und die Erweiterung der Kirche
beschließen. Nach mancherlei Entwürfen sollte Architekt
Bernhard aus St. Goar den Turm neu ausführen und das Innere
umbauen. Beim Abbruch des Turmes und der vorderen Giebelwand zeigte
sich aber das Gemäuer so schlecht, - es war nur mit Lehm
verbunden - daß der völlige Abbruch und Neubau nötig
wurde.
Die Opferwilligkeit der Gemeindevertretung, welche eine
Anleihe von 15000 Mk. einstimmig beschloß und die tatkräftige
Unterstützung der Provinzial- und Landeskirche machten den Bau
möglich.
Nach den von den hohen kirchlichen und staatlichen
Behörden genehmigten Entwürfen des Architekten Bernhard,
St. Goar, soll diese Kirche an der Stelle der alten Kirche, mit einem
Kostanaufwand von 35000 Mk. gebaut werden. Die im Jahre 1861
angeschaffte Orgel und die im Jahre 1900 neubeschafften 3 Glocken der
alten Kirche sollen, wie auch die Kanzel, beim Neubau verwandt
werden.
Wie die alte Kirche zum St. Georg hieß, so soll
auch die neue Kirche diesen Namen tragen und damit die Erinnerung an
unser altes Gotteshaus wach erhalten.
Er aber, der lebendige Gott
und unser Heiland, Jesus Christus, der hochgelobte König und
herr seiner Kirche, lasse diesen Bau emporwachsen und durch
Jahrhunderte Stehen, daß er sei eine Stätte der Anbetung
im Geist und in der Wahrheit, ein Ort der Verkündigung des
reinen Evangeliums von der Erlösung der Welt in Christo Jesu,
zur Ehre seines heiligen Namens und zum Heil vieler Geschlechter.
Ihm, dem Dreieinigen Gott, dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen
Geiste sei Ehre und Preis von nun an bis in Ewigkeit. Amen!
3. Teil. Verfassung und Einrichtungen der Gemeinde
1. Abschnitt. Verfassung der bürgerlichen Gemeinde.
In der fränkischen Zeit waren die einzelnen Gebiete in Gaue geteilt, welche unter Gaugrafen standen. Ihnen waren die Centgrafen untergeordnet, deren Gebiet wieder in Dekurien zerfiel. Eine solche Dekurie scheint Werlau mit seinem Gebiete gebildet zu haben, denn aus den alten Dekurien sind meist die Gerichte entstanden, und ist schon erwähnt, daß in Werlau ein Gericht war. Dasselbe wurde gebildet aus 7 Schöffen, und war vom Schulteiß
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geleitet,
Die Rechte der Lehnsherren vertrat der Vogt von Rheinfels, welcher
auch bei dem Gerichte den Vorsitz führte. Der Schulteis hatte
folgenden Eid zu schwören:
»Ich schwöre zu Gott
dem Allmächtigen einen leiblichen Eid, daß nachdem ich zum
Schuteiß zu Werlau aufgenommen, ich unserer Herrschaft allzeit
getreu und untertänigst, dero nachgesetzte Kanzlei und
vorgesetzte Beamte gehorsam sein will. Daß ich meinem
gnädigsten Fürsten und Herrn Gerechtigleit will helfen
handhaben und wissen, auf deren Waldung und Gräben und Wiesen
nach meinem besten Vermögen Achtung geben, dero keinen Schaden
zufügen lassen, wenig selbst tun, wie denn auch die hiesige
Gemeinde, der ich itzo vorgestellt wurde treulich und redlich dienen,
derselben nichts unbillig tun oder zumuten, die herrschaftlichen
Gelder undf Introde und Zinsen treulich eintreiben auch gehörig
-?- (abliefern) solches nicht fälschlich unterschlagen, auch
sonsten was strafbar nicht verschweigen oder darin die Person ansehn,
sondern alles das tun zu zulassen, was einem frommen, ordentlichen,
unparteiischen Schulteißen sowohl von Rechten und Gewohnheiten,
wie eignet und gebühret, alles getreulich und ohne Gefährde,
so war mir Gott helfe. Amen.« (Kgl. Staatsarchiv zu Coblenz. In
der Orthographie geändert.)
Der Schulteiß führte
das Gemeindesiegel, dasselbe stellte den Ritter St. Georg im Kampfe
mit dem Drachen dar und trug soweit sich nach den alten Abdrücken
feststellen läßt, die Umschrift »Sigillum ...
(vielleicht) des Dorfes ... Werlle.«
Die zur Gemeinde
gehörigen Dorfbewohner werden die Hubner genannt. Schulteiß
und Schöffen hatten über Recht und Ordnung in der Gemeinde
zu wachen. Sie mußten die Ansprüche und Rechte der
Lehnsherren und Zehntherren, sowie deren Pflichten der Gemeinde
gegenüber, welche sie in den Weißtümern niederlegten.
Das älteste Weißtum stammt aus dem Jahre 1341 und handelt
von der »Gerechtigkeit und Freiheit Brandts Gütern zu
Werle.« Die beiden Brüder Tillmann und Brendlin vom Brande
(letzterer ist sicher der auf dem Grabstein in der Kirche genannte
Gemahl der Lucardis) wurden in demselben als die besten und obersten
Merker über Wald, Wasser und Waide genannt.
Ein Weißtum
von 1394 giebt des genaueren an, daß der oberste Vogt von
Werlau über Frevel zu richten habe, auch die Wetten, - d. i.
Strafgelder - empfangen. Als solcher wird Graf Wilhelm von Nassau
genannt. Die Zehntherren waren die Stiftsherren von St. Castor. Ihnen
war der Zehnte von allen
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Erträgnissen
der Werlauer Flur zu liefern, sowohl von Korn und Wein, als auch
etliche Hauszehnten. Dazu waren die Hubner zu Frohnden und Fuhren
beim Schneiden, Einfahren und Abliefern des Zehnten und der
Bearbeitung des Stiftsfeldes verpflichtet. Die Stitfsherren hin
wiederum mußten dem Dorfe von ihrem Hofmann einen Eber, Widder
und Farren halten lassen. Für jedes Lamm, vom Widder hatten die
Hubner einen Heller, für jedes Zugkalb drei Heller dem Stifte zu
zahlen. Auch den Weinbergsschützen, den Büttel und Förster
hatte das Stift mit zu unterhalten. So erhielt der Büttel z.B. 1
1/2 Malter Korn und einige Äcker zur Benutzung. Zur Wahrung
seiner Rechte hatte das Stift den Hofmann und die Zehntknechte,
welche das Stiftsgut bewirtschafteten und auf dem Stiftshofe, dem
jetzigen Arend'schen Besitztum wohnten. Dort war auch die
Zehntscheune. Der Dorfeingang durch den der Zehnte eingebracht wurde,
heißt noch heute die Zehntport.
Der kostbarste Besitz der
Gemeinde war neben dem Waideplatz für Rinder, Schafe und
Schweine (Säuwasen) der Wald. Auf diesen hatten die Kastorherren
keinen Anspruch. Das Holz wurde gemeinsam gemacht und dann verlost.
Auch dem Pfarrer stand ein Los zu. Der Überschuß wurde zur
Deckung der Gemeindelasten verwandt. Auf die Waiden trieben der Kuh-,
Schaf- und Schweinehirte das Vieh. Nach der Anzahl der Tiere hatte
jeder Hubner zur Besoldung des Hirten beizutragen. Der Pfarrer hatte
freies Waidrecht für 2 Schweine und alles Vieh. Beim Bauen bekam
jeder Bürger auch das Bauholz aus dem Wald geliefert und zwar 8
Stämme zur Scheuer, 7 zur Kelter neben dem Baum oder Docken 2
Stämme.
Nur der Dorfeingesessene hatte an diesem Rechte
Anteil. Man versuchte deshalb zu verhüten, daß durch Zuzug
derselbe geschmälert wurde. Es war bestimmt, daß niemand
zur Bürgerschaft zugelassen wurde, »er habe denn 50 Batzen
der Gemeinde erlegt.« Als später durch das Bergwerk die
Fremden mehr herangezogen wurden, beschwerte sich die Gemeinde beim
Landgrafen und bat solch unbemittelten Tagelöhnern das
Bürgerrecht zu verweigern.
Dreimal jährlich fanden in
Werlau die Gerichts- oder Dingtage statt. Sie wurden in dem der
Gemeinde gehörenden Rathause auf dem Gemeindesaal abgehalten.
Dasselbe schein schon früh mit dem Backhaus verbunden gewesen zu
sein, denn bei einem Neubau 1604 wird die Verbindung der beiden als
selbstverständlich angenommen. Neben dem Backhaus enthielt es
damals einen Schulsaal, und darauf die Lehrerwohnung und den
Gemeindesaal.
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Letzterer
wurde auch, namentlich bei Hochzeiten als Tanzsaal benutzt.
Zu dem
Dingtag kam der hessische Vogt als Vorsitzender. Schulteiß und
Schöffen bildeten das Gericht. Jeder Dorfeingesessene mußte
erscheinen. Der Vogt eröffnete den Dingtag durch folgende Frage:
»Ihr Schöffen des Gerichts, ich frage euch, ob die Zeit
vom Jahr und die Höhe vom Tag sey, daß man im Namen und
von wegen des durchlauchtigen etc. Landgrafen zu Hessen etc. seinen
gewöhnlichen Dingtag besitzen und halten mag.« Die
Schöffen antworteten:
»Herr Vogt dünket es euch
die Zeit vom Jahr und die Stunde zu sein, unserem Grafen etc. Dingtag
zu halten, so dunket es uns auch zu sein.« - Dann gebot der
Vogt die Schöffen zum Schöffenstuhl, gab Bann und Frieden,
daß keiner den anderen den Schöffenstuhl besitzen und in
sein Wort kiese ohne Erlaubnis. Es wurde gefragt, ob einer von der
Gemein Gott mit Worten oder Werken gelästert, sein Wort
verachtet, die Predigt versäumt, ob jemand den Herren oder die
Gemein überfahren hätte, es wäre im Feld, im Haus,
oder sonst wo das geschehen.
Man forschte nach falschem Maß
sey in nasser oder trockner Waare, nach falsch Gewicht und Geld, nach
Verletzung oder Mord, Geschrei oder Unruh auf den Gassen, Straßen
und im Haus, ja ob einer im Wirtshaus oder Straßen mit Kannen,
Steinen oder dergleichen geworfen habe, er habe getroffen oder nicht;
thätliche und mündliche Beleidigungen und Verläumdungen,
unerlaubter Weinverkauf. Zu langes Verweilen in den Wirtshäusern,
Versäumnis der Frohnden, Dingtage oder deren vorzeitig
Verlassen, Verrückung von Termsteinen, Diebstahl, unvorsichtiger
Umgang mit Feuer oder Licht, wurden bestraft. Ja, sogar wenn einer
Most nach auswärts verkauft habe, ohne es vorher der Gemeinde
anzubieten, oder eine Kelter, wurde bestraft. »In Summa es soll
ein jeglicher Rufen und Vorbringen alles, was dem heil. Gotte und
seinem Wort zu wieder und von unserem Grafen und Herren ausgegangene
Ordnung und Reformation, auch wider den gemeinen Nutzen geschehen und
gehandelt ist, hierin vorangesetzt es sei groß oder klein,
reich oder Arm, Freundschaft noch Feindschaft, Gift oder Gabe, auf
daß die so verbrochen gestraft, die Frommen aber beschützet
und bei dem ihrigen verunhindert und männiglich erhalten werden
möge. Amen.«
Wir sehen, alles war geregelt. Auch die
Arbeiten der Handwerker und der Lohn dafür wurden von der
Gemeinde festgesetzt.
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Diese
entschied, ob ein Handwerker sich niederlassen durfte. So lesen wir
z.B. über den Schmied Folgendes:
»Demnach nunmehro die
Gemeinde der Dorfschaft Werlau unterstanden einen Schmied, so sich
dieser locus (Ort) setzen würde in allem zu befragen wird ihm
folgender Preis gesetzt:
Im Gedinge nebst zwei Kannen Wein 20
Batzen für einen alten Wagen, 13 Batzen für einen neuen
Wagen. So der Schmied alles stellet 1 Gulden 6 Batzen. Ein neues
Eisen für ein Pferd 1 Batzen, 2 Pflugeisen 4 Batzen, neue Schar
3 Batzen etc.
Es waren ein Zimmermann, Maurer, Schmied und
Steindecker im Dorf.
Für den Fall eines Brandes waren für
jedes Jahr 2 Brandläufer bestellt, und »soll einem jeden
Brandläufer jedesmal, so oft er läutet, eine halbe Kanne
Wein und 1/2 Batzen Brots gestattet sein.«
Auch von
Gemeindefesten hören wir. Am Ostermontag traten die
Gemeindeschützen an. Es wurde dann, wohl auf der Osterwiese, ein
Schießen mit nachfolgendem Ostertanz abgehalten. Die Gemeinde
versammelte sich an dem Tag auf dem Rathause, wo ihr vom Pfarrer,
wohl als Gegengabe für seine Waidfreiheit, Schinken, die
dazugehörigen Speisen und zum Trunk 2 Kannen Wein (wohl für
die Schöffen) und Bier (für die Hubner) gespendet wurde. Am
Osterdienstag kam man wieder zusammen und jede Person, so des
Bürgerhellers contentierte, hatte eine halbe Kanne Wein und 1/2
Batzen an Brot zu verzehren.
Als die Zeiten der feindlichen
Einquartierungen kamen, hörte das auf, denn jetzt reichte der
Gemeindesäckel nicht aus. Was die Gemeinde damals für
Lasten zu tragen hatte, mag ein Beispiel aus der französischen
Zeit zeigen. In einer Urkunde aus dem Jahre 1801 ist
zusammengestellt, was die vier Hofbeständer (Erbpächter)
Heinrich Dietrich, Wendel Franck, Balthasar Brück, Casper Frank
auf ihrem Erbbestandhof an Kontributionen, Requisitionen,
Einquartierungen für Diensten in diesem Krieg haben zahlen
müssen.
Dasselbe ist amtlich vom Municipal-Agenten beglaubigt
und ergiebt in den Jahren 1796 -1801 an barem Gelde 1758
frcs.78ct.
Da brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Gemeinde
eine Schuld von 1000 Thlr. aufnehmen mußte. Dieselbe wurde
durch die Überschüsse aus den Gemeindeeinkünften
allerdings gegen den Widerspruch der ärmeren Gemeindeglieder
abgetragen.
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Die
Zahl der Einwohner wird im Jahre 1808 auf 506 angegeben von denen 387
lutherisch, 64 reformiert und 55 katholisch oder jüdisch waren.
Nach der letzten Volkszählung 1905 waren 529 Protestanten, 316
Katholiken und 32 Juden in Werlau ansässig. - Zu Werlau lagen
auch mehrere adelige oder herrschaftliche Güter.
Die Herren
von Brandt, welche auch den Boxbergerhof besaßen, hatten im
Dorfe selbst einen Freihof, der vom Probst zu Lehen rührte.
Derselbe war eine Freistatt für allerlei Vergehen. »Vortmehr
geschehe es, daß jemand in dem Dorfe zu Werlau oder anderswo
gethan hat einen Mord, einen Totschlag oder dieberei, oder einen Raub
begangen hätte und fluge in ihrem Hof zu Werlw, dem je mag noch
je soll der Richter, noch der Vogt, noch der Kläger, noch kein
Mann antasten noch fahen.«
Die Tempelherren besaßen
den Tempelhof, welcher wahrscheinlich südlich vom Kirchhof bis
zum Bach gelegen hat. Die dazu gehörigen Felder gaben 80 Malter
Korn. Im 17. Jahrhundert kam die Besitzung in die Hände eines
Nicolaus v. Bingen, der darüber mit der Gemeinde in Streit
geriet.
Dann hören wir von einem Peckwinkelischen oder
Wagnerischen oder Goldnerischen Gut. Dasselbe war dem Kammerschreiber
Ludwig Zöllner von Peckwinkel, der in hessischen diensten stand,
1582 durch den Landgrafen Philipp v. Hessen zur Belohnung für
treue Dienste von allen Lasten und Abgaben befreit.
Der
Nordeckische Hof, im Besitze der Wilhelmine von Bodenstein wurde im
18. Jahrhundert an den kurpfälzischen Oberstallmeister Carl von
Bodenhausen verkauft.
Noch jetzt redet man von dem Seitelshof.
Dieser wurde 1589 von Nicolaus von Bingen für 2200 Goldgulden
gekauft und später in kleineren Teilen verkauft. 2/5 waren im
Besitz der hessischen Capitäns Seitel, das andere besaßen
mehrere Familien. Es ist der Hof gegenüber dem
Backhaus.
Schließlich wären da noch die schon erwähnten
fürstlichen Hofgüter, welche die hessischen Landgrafen
mehreren Familien in Erbpacht gegeben hatten, zu nennen.
2. Abschnitt. Verfassung u. Einrichtungen der Kirchengemeinde
Vor der Reformationszeit wurde die Kirche in Werlau von einem Plebanus, oder Leutpriester, der das Amt für die eigentlichen pastores, die Stiftsherren von St. Castor, versah, bedient. Er wurde von dem Stifte eingesetzt und selbst nach Einführung der
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Reformation
blieb das Recht bestehen, nur daß darnach dem Landesherr, die
Institution, oder Bestätigung zustand.
Aus den Zehnten mußte
das Stift den Pleban besolden, die Pfarrgebäude und den Chor der
Kirche unterhalten. Dem Pfarrer diente der Widdem oder Pfarrhof als
Wohnung. 6 1/2 Morgen Ackerland, ein Weinberg, sowie einige Wiesen
und Wald gehörten dazu. Das Gesamteinkommen des Pleban wurde zur
Zeit der Reformation auf 51 Gulden eingeschätzt, und bei der
Visitation 1527 erhöht. Das damalige Einkommen setzte sich aus
folgenden Bezügen zusammen.
Ahn Korn: 13 Malter Bopparder
Maßung aus dem Zehnten und der Gewannen, wan der Pfarrer will
und wie er's begehret in der Scheuer und müssen ihnen die
Zehnten Knechte auf den Speicher tragen, anderthalb Bopparder maßung
liefern Diejenige, so die Ganspecher (?) Güter zu verlosen
haben.
Ahn Geld: Zehn Gulden empfängt der Pfarrer jährlich
von dem Werlaer Kastenmeister, vierzehn Gulden, so ein Pfarrer
selbsten kolligieren muß.
Ahn Wein: Zwen Fuder Wein liefern
die Herren collatores jährlich für das Kelter ahn gutter,
schmackhafter Kaufmannswürts in des Pfarrers Faß, und auf
jede Ohm ein Viertel, wie auch solches in alten Competenzbuch sub
Anno 1532 zu finden. Was hieran mangelt muß ein Pfarrer das Ohm
mit 9 Thlr. Bopparder Währung zu zwei Kopfstück laut
Vergleich, so hierüber zwischen Trier und Hessen gemacht und
soll derselb, wie der Herr Amthmann zu der Zeit berichtet, bezahlt
annehmen.
Zu Wellmich werden von den Ackerleuthen alle Jahre 2
Ohm und 6 Viertel den Herren zu St. Castor wegen des Zehnten und
Theilß aus den Weingärten in -Werler Gemark zu hollen von
den Zuhabern eingesamlet und müssen dann solche Ackerleuth
selbigen Wein bis an die Gründelbach von dannen der
Castorhofmann auf seine Kosten dem Pfarrer in sein Haus schaffen,
geschieht aber, wan er zu Werle ahn Wein nicht bezahlt wird.
Ahn
Holz: Zwen Fuder Holz alle Jahre fest aus dem Werler Wald.
Ahn
Stroh: Zwen Fuder geben jährlich die Castorherren einem Pfarrer
aus dem Zehnten.
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Diese
Einnahme blieb bis zur Zeit der französischen Eroberungen
bestehen. Die Not in welche der Pfarrer durch die Unsicherheit der
Kriegsjahre kam, suchte die französische Regierung durch
Regelung des Einkommens zu beseitigen. Im Jahre 1806 wurde dasselbe
auf 971 frcs. 68 ct. abgeschätzt.
Außerdem gehörten
zu den Einkünften des Pfarrers die Stolgebühren. Dieselben
wurden in folgender Höhe angegeben. 1 1/2 Thlr. für eine
Copulation, dazu ein Taschentuch. 15 Alben oder 1 1/2 Thlr. für
eine Taufe. 1/2 Thlr. für eine Trauung. Auch die katholischen un
d reformierten Einwohner waren zur Zahlung der Stolgebühren
verpflichtet, selbst, wenn die Amtshandlung von einem anderen
Geistlichen vollzogen wurde. Zwar suchten dieselben sich dieser Last
zu entziehen, aber sie wurden von der hessischen Regierung unter
Androhung schwerer Strafen zur Bezahlung, resp. zur Benutzung des
zuständigen Pfarrers gezwungen. So ward z. B. folgendes Reskript
erlassen:
»Es wird nochmals im nahmen des durchlauchtigsten
Fürsten und Herrn, Herren Carl, dieses Nahmens des ersten
Landgrafen zu Hessen, hiermit Peter Carbachs Wittib zu Holzfeld bei
Ihrer Durchlaucht höchster Ungnade und zwar bey 20 Thlr. Straf
anbefohlen, ihre Tochter in ihrer Durchlaucht Lande und Filial
Holzfeld copulieren zu lassen, gleichwie sie auch daselbst von ihrem
ordentlichen Pfarrer proklamiert und aufgerufen ist, danach sich zu
achten und nochmals für Schaden und Schimpf zu hühten.
Signatum zu St. Goar, den 3. May 1680.«
1762 beschwert sich
der Pfarrer, daß ein auf der Schmelzhütte im Gründelbach
wohnender Bergwerksinspektor sich in St. Goar habe trauen und sein
Kind vom Biebernheimer Pfarrer habe taufen lassen, sowie daß
die Katholiken in Werlau anfingen ihre Kinder in St. Goar von den
Jesuiten taufen, und ihre Verstorbenen dort beerdigen zu lassen.
Derselbe berichtet 1776, daß bei den nach Werlau eingepfarrten
reformierten Einwohnern alle Taufen, Copulations und Beerdigungsakte
der bisherigen Observanz gemäß dem pastore
loci
verrichtet worden wären.
Auch einige Opfer, oder sog.
Oblationes waren in Werlau Sitte. So erhielt der Pfarrer zu Ostern
für 10 Alben Weißbrot und am Gründonnerstag von jedem
confirmierten Gemeindeglied Beichteier. Außerdem legte jeder
Abendmahlsgast nach dem Abendmahle bei dem Rundgang eine Gabe auf den
Altar. Als 1725 die hessische Behörde statt dessen eine feste
Abgabe von einem Groschen, der am Neujahrstag an den Pfarrer zu
zahlen sei, ein-
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richten
wollte, erklärte der Pfarrer, daß man in der Gemeinde an
dieser Einrichtung keinen Anstoß nehme, sondern eine solche
Gabe lieber bringe, als eine feste Steuer zahle.
Die bürgerliche
Gemeinde gab dem Pfarrer außer einem freien Weiderecht jährlich
3 Klafter Holz.
Auch die Kirche hatte ihre festen Einkünfte
zur Bestreitung der Unkosten beim Gottesdienst, Unterhaltung der
heiligen Geräte etc. Es waren das meist nur Erträge aus
Stiftungen, welche zu diesem Zwecke, z. B. zur Beschaffung des Öls
in der ewigen Lampe, oder des Wachses für die Altarkerzen,
gemacht waren. Da die meisten dieser Ausgaben bei Einführung der
Reformation fortfielen, wurden die Erträge zur Instandhaltung
der Kirche verwandt. Etwaige Überschüsse aus dem
Kirchenkasten wurden gegen Obligationen oder Schuldbriefe auf Zinsen
ausgeliehen. Zu dem Zwecke wurden die Sahl- oder Kirchenbücher
angelegt, in welchen Kapital, Schuldner und die Zinsen verzeichnet
waren.
Auch sonst waren diejenigen Bürger zu Abgaben an die
Kirche verpflichtet, welche für überlassene Kirchengüter
besondere Zinsen zahlen mußten; z. B. 3 Malter Roggen für
Überlassung eines Ackers (13. Jan. 1343) oder 12 Gulden für
eine Hofstatt. (1358).
Die Verwaltung der Einkünfte und Güter
lag vor der Reformation in den Händen der Sendschöffen,
deren es 4 in Werlau gab. Sie waren bei der Kirchenvisitation zugegen
und erhielten bei der Gelegenheit vom Pleban ein Frühstück.
Nach
Einführung der Reformation übernahmen die Senioren die
Leitung der Gemeindegeschäfte. 1539 sollten dieselben in allen
Katzenellenbogenschen Landen eingesetzt werden. In Werlau erfahren
wir, daß bei einer Kirchenvisitaiton im Jahre 1601 ihre Zahl um
2 vermehrt wurde. Sie sollten aus den Verständigsten,
Bescheidensten, Eifrigsten und Frömmsten genommen werden und
wurden durch Handauflegung in ihr Amt eingeführt. Nicht nur
Leiter u. Führer der Gemeinde, sondern auch Wächter über
Zucht und Ordnung, gute Sitte und kirchlliches Leben, sollten sie
sein. Es gingen deshalb während des Gottesdienstes 2 Senioren
durch den Ort, um zu sehen, ob keiner während der Kirchzeit im
Wirtshaus, oder auf der Gasse sich herumtreibe, oder zu Hause
arbeite.
Alle Monate an den Bettagen, oder später am Sonntag
darnach versammelten sie sich im Pfarrhause zu gemeinsamer Beratung
und erhielten dann den Auftrag sich der Gefallenen und Schwachen
anzunehmen, ihnen zu recht zuhelfen und so die Arbeit
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des
Pfarrers zu unterstützen. Daß sie auch treulich ihres
Amtes walteten zeigen mancherlei Beschwerden, die sie einreichten, so
z. B. daß die Müller am Sonntag Mehl führen oder die
Juden ihr Vieh trieben, und die Sabbatbußen, welche sie wegen
unnötiger Arbeit am Sonntag verhängten.
Für ihre
Bemühungen nehmen sie aber auch an dem, auf die Visitaiton
folgenden Essen teil. Daß sie da ihren Mann stellten, zeigt uns
eine Rechnung aus dem Jahre 1769, nach welcher man 1 1/2 Viertel
Eier, 8 1/2 Pfd. Butter, und 1/2 Baum verbuck. Dazu verzehrte man 4
Pfd. Käse, für 8 Thlr. Fleisch und an Getränke 12
Krüge Sauerbrunnen und 24 Maß Wein.
Die eigentlichen
Geldangelegenheiten u. d. Vermögensverwaltung lag in den Händen
des Kastenmeisters. Das Amt desselben wechselte jährlich unter
den Senioren. Er hatte die Einsammlung der kirchlichen Almosen. Das
Erheben der Zinsen und Abgaben sowie die Deckung der Ausgaben zu
besorgen. Das bei Collekten eingegangene Geld wurde von den Senioren
gezählt, in ein Buch eingetragen und dann in einen mit 2
verschiedenen Schlössern versehenen Kasten im Pfarrhause
aufbewahrt. Am Sonntage Laetare wurde dann von den Senioren Rechnung
abgelegt und der Kastenmeister ernannt. Natürlich schloß
sich auch an diese Sitzung eine »Imb'ß« (eine
Mahlzeit) an, bei welchem für 1 Thlr. verzehrt wurde. Der
Kastenmeister erhielt für seine Arbeit 5 Batzen. Im Jahre 1773
wünschte die Behörde einen ständigen Kastenmeister,
welcher neben den Geldgeschäften auch noch die Beaufsichtigung
der Gebäude übernehmen mußte. Dafür wurde
derselbe von allen Personallasten befreit und erhielt zur Vergütung
2 Gulden.
Auch die Armenpflege ward durch die Senioren geübt.
Sie bestand vor allem in der Verabreichung des Brotallmosens.
Dasselbe muß wohl aus den Zinsen einer Stiftung hergerührt
haben, dfenn wir finden immer die gleiche Summe 1 Gulden, später
1 Thlr. 3 Silbergroschen 4 Pfg. Auch fehlt die Aufführung
desselben in den Kirchenrechnungen. Bis zum Jahre 1866 finden wir
auch stets einen genauen Bericht über die Verteilung im
Protokollbuch. Seit der Zeit wird es nicht mehr erwähnt.
Jetzt
wird die Armenpflege vom Diakon und Pfarrer geübt in der Weise,
daß von dem bei kirchlichen Sammlungen eingegangenen und in die
Kirchenkasse abgeführten Gelde je nach Bedarf an Arme gegeben
wird.
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Im
Jahre 1836 wurde die am 5. März 1835 genehmigte Kirchenordnung
für die evangelischen Gemeinden der Provinz Westfalen und der
Rheinprovinz bei uns eingeführt, danach erhielt die Gemeinde am
2. Febr. 1836 eine Repräsentation von 16 Mitgliedern und ein
Presbyterium von 6 Mitgliedern.
Mit der Neuregelung der Gehälter
während der französischen Zeit wurden auch die Stolgebühren
geändert. Im Jahre 1821 wurden für eine Taufe 30 Kreuzer,
Confirmation 24 Kreuzer, Proklamation 30 Kreuzer, Copulation 1 Thlr.
30 Kr. und Beerdigung eines Konfirmierten 1 Thlr. 30 Kr. festgesetzt,
während die Kosten für die Beerdigung eines Kindes 1 Thlr.
betrugen. Jetzt sind Taufen und Trauungen frei. Es ist aber leider
noch nicht möglich gewesen, auch die Beerdigungen abzulösen.
4. Teil. Das kirchliche Leben
Wie
in allen hessischen Landen fand in Werlau sonntäglich 2 mal
Gottesdienst statt, wobei der Nachmittagsgottesdienst allerdings für
die Unterweisung der Kinder im Katechismus bestimmt war. An jedem 2.
Sonntag mußte der Pfarrer entweder Morgens (im Winter) oder
Nachmittags (im Sommer) in Holzfeld Gottesdienst abhalten. Dann hören
wir noch von den Bettagen, welche an jedem Mittwoch nach dem Neumond
abgehalten u. durch einen Gottesdienst gefeiert wurden. Derselbe trug
den Charakter eines Bußgottesdienstes.
Der Besuch des
Gottesdienstes wird verschieden gewesen sein; doch hören wir daß
bei einer Visitaiton im Jahre 1601 über schlechten Besuch der
Christenlehre und des Gottesdienstes geklagt wird; sodaß
verfügt wurde, um solchem Unfleiß abzuhelfen, »daß
wer künftig die heiligen Versammlungen ohne Erlaubnis und
Ehehaften negligiere, habe, so oft er dessen überführt
werde, 6 Alben in den Gotteskasten zu erlegen. Mit der Zeit änderte
sich dieser Übelstand, sodaß eine feste kirchliche
Gewöhnung bei uns heimisch wurde.
Neben den gewöhnlichen
Gottesdiensten wurden die Feiertage besonders ausgezeichnet. Die drei
Hauptfeste wurden 3 Tage gefeiert. Am 1. Tage war heil. Abendmahl und
2 Gottesdienste, an den anderen Tagen je ein Gottesdienst. Als aber
1770 die Katholiken den 3. Tag nicht mehr feierten, un an demselben
arbeiteten, ward denselben bei Strafandrohung befohlen, »daß
sie bei den evangelischen Festen, Feiern und monatlichen Bettagen
sich der-
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gestalt mit Arbeit moderieren sollen, damit sie die Evangelischen dadurch in ihrem Gottesdienst nicht verhindern noch turbieren, noch Ärgernis geben mögen.« Daneben wurde das Neujahrs- und Epiphaniasfest, der Gründonnerstag (in der Weise der Bettage) der Charfreitag, das Himmelfahrts- und das Trinitatisfest gefeiert. Erst 1817 ward die Feier des Reformationsfestes und 1848 das Erntedankfest eingeführt. Im Jahre 1857 beschloß man in der Passionszeit an 2 Mittwochen in Werlau, an einem in Holzfeld um 10 Uhr Vm. einen Gottesdienst zu halten. Dieser Gottesdienst wurde später auf 12 Uhr Mittags und seit 1899 auf den Abend verlegt. Seit diesen Jahre finden auch gewöhnlich 3 Adventsgottesdienste in Werlau, einer in Holzfeld statt. Ebenso hat sich eine Kinderfeier am Heiligen Abend und eine liturgische Feier Sylvester eingebürgert. Dazu kommen jetzt noch die im Winterhalbjahr allwöchentlich abgehaltene Bibelstunden.
Die Gottesdienste wurden vom Jahre 1657 an nach der in dem Jahre entworfenen »Agende d. i. Kirchenordnung wie es im Fürstentum Hessen mit Verkündigung des gottlichen Wortes etc. gehalten werden soll,« gefeiert. Dieselbe blieb bis zur preußischen Zeit im Gebrauch.
Darnach kam die 1834 erschienene Agende für die evangel. Kirche in den Kgl. preußischen Landen in Anwendung, bis im Jahre 1895 »die Agende für die Evangelische Landeskirche« aufgenommen wurde.
Das
heilige Abendmahl wurde 6 mal, nämlich an den 3 großen
Festen und an dem Sonntag nach Peterstag, Jakobstag und Michaelis
gefeiert. Es hatte sich im Lauf der Zeit eine bestimmte Ordnung für
die Besucher eingelebt, sodaß einmal die Burschen, dann die
Mädchen, dann die Männer oder Frauen besonders zahlreich
kamen. Im 19 Jahrhundert wurden durchschnittlich 350 Abendmahlsgäste
gezählt; sodaß man wohl von einem sehr guten
Abendmahlsbesuch reden kann. Entsprechend der Zunahme der Gemeinde
ist jetzt der jährliche Durchschnitt 550 Personen.
Entsprechend
dem lutherischen Karakter der Gemeinde wurde das Abendmahl nach
lutherischem Ritus mit Hostien begangen. Seit dem Jahre 1818 kam aber
infolge der Union das Brotbrechen in Aufnahme. Die reformierten
Gemeindeglieder waren bis dahin, wenn sie auch sonst an allen
kirchlichen Feiern teilnahmen, nach St. Goar zum heiligen Abendmahl
gegangen.
Alle Amtshandlungen, wie Taufen, Trauungen etc. wurden,
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wenn
eben möglich in der Kirche vollzogen; ja um die Feiern im Hause
zu erschweren, wurde auf dieselben eine besondere Abgabe von 3 Gulden
für eine Hochzeit und 1 Guld. 30 Kreuz. für eine Taufe
festgelegt.
Im Jahre 1720 führte die hessische Regierung noch
eine besondere Kopulationssteuer ein, zur Unterhaltung eines
Zuchthauses. Dieselbe - 4 Alben hoch - mußte von Braut und
Bräutigam zusammen bezahlt werden. 1734 wurde aber, »in
Ansehung der christlichen Hochzeiten« diese Steuer nur von sog.
Schank u. anderen Hochzeiten, bei denen getanzt wurde« erhoben.
Die Steuer entsprach daher der Zahl der Gäste, - 12 Personen
zahlten 8 kasselsche Weißpfennige, - dann stieg die Summe,
entsprechend dem Besuch. Der Pfarrer durfte erst nach Vorlage der
Steuerquittung trauen. Bei uns mag mancher Pfennig bezahlt worden
sein, lesen wir doch, daß der im Jahre 1604 uns gebaute
Gemeindesaal auf dem Rathaus ausdrücklich für Tanz und
Hochzeiten mit bestimmt wurde.
Die Konfirmation fand am Sonntag
vor Pfingsten statt. Sie scheint in Werlau zur gleichen Zeit, wie in
den anderen hessischen Landen eingeführt zu sein. Die
Vorbereitung auf dieselbe fand in besonderem pfarramtlichen
Unterricht statt. Es handelte sich dabei besonders um die Einprägung
des kleinen lutherischen Katechismus. Derslebe blieb in Werlau im
Gebrauch, auch als man 1607 den neuen sog. kasselschen Katechismus,
mit reformierten Lehrtypus, in Hessen einführte; noch 1619 mußte
der Superintendent die Einführung desselben befehlen, aber ohne
Erfolg. Im 19 Jahrhundert unterrichtete Pfarrer Wagner nach dem von
Dr. F. A. Kremmacher bearbeiteten Katechismus; später war auch
einige Zeit eine Ausgabe des kleinen Katechismus von Hannisch in
Gebrauch, bis man wieder zum einfachen Luthertext zurückkehrte.
Der
Konfirmation ging eine öffentliche Prüfung (Vorstellung der
Kinder) am Mittwoch vorher oder auch unmittelbar am Konfirmationstage
voran. Seit dem Jahre 1857 wird am Palmsonntag konfirmiert. Die
Prüfung wurde bis 1867 an demselben Tage, bis 98 am Mittwoch
vorher und jetzt am Sonntag Judica in besonderem
Nachmittagsgottesdienst abgehalten.
Die Christenlehre, an der auch
die Konfirmierten 2 Jahre teilnehmen mußten, besteht seit den
ersten Tagen der Reformation. Es scheint aber mit der Zeit
Unregelmäßigkeiten im Besuche desselben eingetreten zu
sein auch wird Klage geführt über mangelnde Teil-
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nahme
der Gemeinde. Bei einer Kirchenvisitation 1849 muß der
Superintendent daran erinnern, daß es ratsam sei, wenn die
reformierte Jugend 2 Jahre lang die Christenlehre besuche. Es ward
das zur Regel und wird jetzt den Konfirmanden zur Pflicht gemacht. So
lange jedoch die Gemeinde dieser Einrichtung, die zur Jugenderziehung
so nötig ist, nicht die nötige Teilnahme entgegenbringt,
namentlich nicht selbst fleißig die Christenlehre besucht, wird
diese Einrichtung von unserer Jugend als ein lästiger Zwang
empfunden werden.
Die Beerdigungen wurden vielfach infolge der
beträchtlichen Kosten die nicht nur durch die Stolgebühren,
sondern durch die übliche Bewirtung des Trauergefolges
entstanden, beim Abendgeläute stille vollzogen. Anfangs des
vorigen Jahrhunderts suchten die Pfarrer diese Sitte, auf
Veranlassung der Behörde hin zu beseitigen, in dem sie unter
Umständen selbst auf die Stolgebühren verzichteten und auch
die sog. Leichenimbser möglichst zu beseitigen bestrebt
waren.
Die öffentlichen Beerdigungen wurden, wie heute noch,
in der Weise vollzogen, daß der Pfarrer mit den Schulkindern
und Lehrer die Leiche am Sterbehause abholte und zum Kirchhof
geleitete. Nach der Liturgischen Feier am Grabe fand ein
Trauergottesdienst in der Kirche statt. Die äußeren
Angelegenheiten ordnete die Nachbarschaft. Das Dorf wr in 2
Nachbarschaften, welche unter je einem Nachbarschaftsmeister standen,
geteilt. Die Mitglieder desselben waren verpflichtet der Reihe nach
das Grab herzustellen, den Sarg zu tragen und das Geleite zu geben.
Versäumnis wurde mit Geld bestraft. Nichtmitglieder mußten,
wenn sie die Hülfe der Nachbarschaft in Anspruch nahmen 2 Thlr.
zahlen. Am Ende des Jahres kamen die Mitglieder in Zylinder u.
Trauerkleidung zusammen und das eingegangene Geld wurde vertrunken,
eine Feier, die oft zu häßlichen Ausschreitungen führte.
Deshalb verwandte man später, wie noch heute das Geld zu
gemeinnützigen Zwecken.
Der Kirchhof der Gemeinde lag um die
Kirche herum. Er wurde bis zur Revolutionszeit von beiden
Konfessionen benutzt. Seit jener Zeit trugen aber die Katholiken ihre
Toten auf den kathol. Kirchhof nach St. Goar. Als dieser 1857
polizeilich geschlossen wurde, beerdigte man auch die Katholiken
wieder auf dem hiesigen Kirchhof. Man gestattete ihnen sogar das
kirchliche Geläute, das gegen Bezahlung vom evang. Küster
vollzogen wird. Dagegen gab namens des kath. Kirchenvorstandes des
Pastor die schriftliche Er-
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klärung
ab, daß die katholischen Mitbürger aus diesem Zugeständnis
keinerlei Recht und Anspruch erheben wollten.
Im Jahre 1892 wurde
der Kirchhof durch Verfügung der Regierung der evangelischen
Gemeinde genommen und der Civilgemeinde übertragen, es ist
jedoch im Grundbuch die auf demselben ruhende Last, daß der
Pfarrer des Graswuchs auf dem Kirchhofe zu eigen hat, eingetragen.
Nachdem ein neuer Kirchhof angelegt ist, wird der alte Kirchhof wohl
wieder in Besitz und Verwaltung der früheren Besitzerin
zurückgegeben werden.
Es ist zu verstehen, daß über
die eigentliche Seelsorge sich kaum Nachrichten erhalten haben. Nur
in den Visitationsprotokollen finden wir wiederholt den Hinweis auf
die Zweckmäßigkeit regelmäßiger
Hausbesuche.
Jetzt ist das kirchliche Leben durch die Bildung von
Jungfrauen und Frauenvereinen, welche der »Frauenhülfe«
angegliedert sind und einen Jünglingsverein belebt. In den
Wintermonaten versammeln sich diese Vereine in dem Gemeindesaal zur
Erbauung und Unterhaltung und suchen auch der Gemeinde durch Armen
und Krankenpflege (wir haben eine durch die Frauenhülfe
ausgebildete Helferin) sowie durch Vorträge etc. an den
Gemeindeabenden zu dienen.
Eine innere Stärkung und
Entwickelung des Gemeindelebens tut not. Wer die geschichtliche
Darstellung verfolgt, wird es verstehen, daß das kirchliche
Leben bei uns eine äußere Förmlichkeit erhalten hat
und zur guten Eingewöhnung geworden ist. Wir wollen uns dieser
guten Sitte freuen und sie pflegen, aber zur Form muß der volle
Inhalt, zu der Gewöhnung die bewußte und gewollte
Beteiligung kommen. Zu selbständigen, ihres evangelischen
Glaubens gewissen Christen müssen wir heranreifen. An der Lösung
dieser Aufgabe muß jedes Gemeindeglied mitarbeiten durch treue
Arbeit an sich selbst, eine Arbeit, zu der der Herr der Kirche seinen
Geist verheißen hat, denen, die darum bitten.
5. Teil. Die Schule
Am 12 Januar 1560 fragten die Vorsteher und die Ältesten der Kirche von Werlau das Gericht, »was einem Schulmeister und Glöckner jährlich an Freiheiten und Einkommen gebühret und was darum Recht sei wie alters.« Durch dieses Gerichtsweistum hören wir zum ersten Male etwas von dem Bestehen einer Schule in unserer Gemeinde. Diese wird aber als eine von alters bestehende Einrichtung bezeichnet. Zugleich ersehen wir, daß dieselbe eine
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Pfarrschule
war und als solche sich eng an die Kirche anschloß. Es geht
aber auch aus diesem Weißtum hervor, daß früher das
Glöckneramt von dem Schulamt getrennt war. Ein Glöckner
oder custos wird schon in dem Visitationsprotokoll des
Archidiakonates Carden vom Jahre 1457 erwähnt; Item
custos dabot vinum, pullum et lumina.
Einen Lehrer wird aber erst die Reformation der Gemeinde gebracht
haben.
Das Schuleinkommen setzte sich aus dem Glöcknergehalt,
Naturalienlieferungen und Spolien zusammen. So bekam der Schuldiener
6 Gulden, die früher der Glöckner bezogen, er hatte das
Waidrecht für 2 Kühe und 2 Schweine. Dazu erhielt er 1
Glockengarbe von jedem Verheirateten, 1 Glockenbrot zu erheben
Martine, 1 Malter Glockenkorn aus der Zehntenscheuer. Aus dem
Kirchengefälle bezog er jährlich 11 Gulden 6 Alben und bei
Beerdigungen standen ihm 15 Caselsche Alpen zu, wenn geläutet
wurde, sonst 1 1/2 Alben. Von Holzfeld bezog er den Gesang zu führen
4 Gulden, alt, leichtes Geld und ein paar Schuhe, dazu von jeder
Haushaltung eine Glockengarbe. Obgleich die Stelle als die
lutherische Schulstelle bezeichnet wird waren auch die katholischen
Einwohner zur Lieferung verpflichtet.
Der Dienst des Lehrers bestand nicht nur im Schulhalten und dem Glöckner und Kantordienst, sondern er mußte auch alle Jahre einem Bürgermeister die jährlich einkommenden Gelder erheben, wofür er an den jährlichen Zehrungskosten sein Teil hatte, wie vor alters.
Über die Art der Vorbildung und den Unterricht hören wir in älterer Zeit nichts. Ein des Lesens und Schreibens kundiger Handwerker oder ähnliche Personen werden den Unterricht erteilt haben, der sich auf Rechnen, Lesen und Schreiben und das Einpauken des Katechismus beschränkte.
Das
Schulhaus war wohl mit dem Gemeindehause verbunden, wenigstens hören
wir, daß nach dem Brande des Jahres 1688, bei welchem auch die
Schule zerstört wurde, etwa 1710 am Kirchhof ein Haus gebaut
wurde, daß im unteren Teile Backhaus der Gemeinde war und
darüber die Lehrerwohnung bestehend aus 2 Kammern und einer
Wohnstube und einer größeren zur Information der Jugend
geeigneten Stube enthielt. Als diese, weil über dem offenen
Backhaus gelegen, sich nicht gut erwärmen ließ, wurde 1751
im Unterstock ein anderes Schulzimmer gebaut, während das obere
Zimmer dem Lehrer zum Gebrauch überlassen wurde.
Die
Besetzung der Schulstelle geschah in der Weise, daß
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Pfarrer
und Gemeinde 2 Männer vorschlugen, von denen der Inspektor einen
ernannte.
Der erste Lehrer, der uns mit Namen genannt wird ist
Peter Steinmetz, welcher um die Mitte des 18. Jahrhunderts an der
Schule tätig war.
Sein Nachfolger, Johann Christian Krumbholz
wurde 1761 wegen allerlei Unordentlichkeiten und es folgte ihm der
Lehrer von Biebernheim, Johann Friedrich Michel. Von seiner Hand
rührt ein altes Tauf und Sterberegister, welches vom Jahre 1774
an geführt ist, wahrscheinlich um der Stolgebühren willen.
In diesem schreibt Michel von sich selbst: 1738 den 15. April bin ich
Joh. Friedr. Michel gebohren. Mein Vatter war Georg Phil. Michel,
Gerichtsschöffe dahier gestorben 1758. Meine Mutter Anna
Margaretha eine geborene Barin. Meine Frau Anna Elisabetha, eine
geborene Petry ist gebohren den 18. May 1746. Ihr Vatter war der Joh.
Phil. Petry Müller in der Gründelbach, die Mutter Maria,
Elisbetha geborene Pabstin von Biebernheim.
1760 den 20. Febr. bin
ich auf die Schul nach Biebernheim gekommen. 1761, den 5. Okt. bin
ich von Biebernheim abgerufen worden und ich wurde bestelt an die
Gemeinde Werlau vor ihren Schullehrer. 1765, den 26. Nov. habe ich
Hochzeit gemacht.
Eine andere interesante Notiz mag noch folgen:
1805, den 10. Oktober hat es den Mittag angefangen zu regnen, wo bey
Schneeflocken vermischt waren, und der Vogelsgibel (Fleckertshöhe)
kurz alles um uns herum war mit Schnee bedeckt, 1 Fuß hoch und
dabey hart gefrohren. Den 11. Oktober noch kälter mit einem
kalten Nordwind. Den 12. war es nicht besser, die Trauben im Weinberg
waren noch nicht reif und sind verfroren und zum Teil haben die
Weinstöcke voll gehangen. Dieses war ein großer Verlust
vor uns doch wollen wir ausrufen: was Gott thut das ist wohlgethan.
Die Trauben sind zum Teil all hängen geblieben und etliche haben
etwas abgemacht. Ich hätte 4 Ohm können machen, habe aber
keinen Birkel nach Hause gebracht, und habe alles hängen
gelassen an den Stöcken.
Mit dem April 1808 hören seine
Eintragungen auf, sodaß wir wohl annehmen können, daß
er in dieser Zeit entweder gestorben ist oder sein Amt niedergelegt
hat. Aus seiner Zeit (vom Jahre 1772) finden wir auch eine
Spezifikation der Schulbesoldung. Darnach betrug das Stelleneinkommen
damals 79 Thlr. 17 Kreuzer. Die Zahl der Schulkinder war ca. 45.
Jedes Schulkind mußte 30 Kr. Schulgeld bezahlen. Auch mußten
die Kinder im Winter das Holz zum Heizen des Schullokals mitbringen.
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Michel
hatte allerlei Unannehmlichkeiten wegen seiner Wohnung und der
Schulstube zu ertragen. Die im unteren Teil des Gemeindehauses
gelegene Schulstube war infolge des anstoßenden Backofens sehr
feucht und dunstig, auch zu eng und dunkel, sodaß der Pfarrer
in einem Bericht dieselbe als im höchsten Grade ungesund
bezeichnet, weswegen schwächliche Kinder im Winter kränkeln
und der Schulmeister wahrscheinlich aus dieser Ursache schon
verschiedene Krankheiten ausgehalten hat. Der alte Raum, welcher
infolge des Unterbaus heizbar geworden war, aber als Gemeindesaal
benutzt wurde, sollte wieder zum Schulzimmer hergerichtet werden, der
untere Raum aber für Gemeindeversammlungen gebraucht werden.
Dabei kam ein anderer Mißstand zur Sprache. Wie mitgeteilt war
das obere Zimmer dem Lehrer zur Verfügung gestellt worden, nach
und nach aber ward er aus demselben verdrängt, in dem die
Gemeinde es für ihre Versammlungen und die hochzeitlichen
Tanzvergnügen, Versteigerungen etc. benutzte. Dazu führte
der Eingang durch des Lehrers Küche, welche derselbe bei solchen
Gelegenheiten ausräumen mußte. Neben der Belästigung
und Störung war der Lehrer also nicht einmal Herr in seiner
Wohnung und mußte oft Nächte lang sein Haus offen stehen
lassen. Dem Lehrer Michel war auch im Jahre 1790 ein Schuladjunkt
beigegeben. Es war der spätere Nachfolger desselben Greiff.
Bis
1822 war derselbe tätig und wurde dann pensioniert. Im Jahre
1809 wurde das Einkommen der Schulstelle geregelt und gebessert,
dadurch, daß 155 Frcs. für den Lehrer aus der
Gemeindekasse gezahlt wurden. Allerdings kam ihm davon nur ein
geringer Teil zu, da auffälliger Weise der kath. Lehrer von St.
Goar 75 Frcs. dieser Besoldung bezog, weil ihm die kathol. Kinder aus
Werlau, zum Teil wider Willen der Eltern, überwiesen worden
waren, deren Zahl aber durch aus nicht im Verhältnis zu der
Entschädigung stand. Vergeblich erstrebte die Gemeinde eine
gerechtere Verteilung an. Nach der Schulkompetenz des Jahres 1823
ergab das Einkommen Zusammen 276 Thlr. und 40 Kr. Jedes der etwa 80
Kinder zahlte damals 1 Thlr. Schulgeld. Im Jahre 1823 wurde auch ein
neues Schulhaus gebaut, das heute noch als Gemeindehaus im Gebrauch
ist.
Bei seiner Pensionierung kam Greiff in bittere Not. Er mußte
das Schulhaus räumen und bekam 8 Frcs. Pension, wofür er
den Glöckner und Küsterdienst noch leisten mußte.
Etwas besser wurde es, als ihm sein Nachfolger von seinem Gehalt 60
Frcs. abgeben mußte, zu denen die Gemeinde noch 20 Frcs.
hinzufügte.
Hehner aus Badenhard war von 1822 an Greiffs
Gehülfe.
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Um
diesen in etwa für den Ausfall der 60 Frcs. zu entschädigen
machte die Gemeinde noch einmal den Versuch, die nach St. Goar zu
zahlenden 75 Frcs. dem eigenen Lehrer zuzuwenden aber ohne Erfolg.
Erst 1847 ward den kathol. Kindern der Besuch der Werlauer Schule
wieder gestattet, während sie zum Religionsunterricht nach St.
Goar gingen.
Damals war Wilhelm Winterhagen Lehrer. Geboren am 1.
Nov. 1803 war er von 1839 - 52 in Werlau tätig. Er erreicvhte
die Ablösung der Glockengarben gegen eine Entschädigung von
51 Thlr. 3 Sgr. Da durch Aufnahme der kathol. Kinder die Schülerzahl
über 100 stieg, wurde ein Hülfslehrer Schneider angestellt
und die Schule geteilt. Lehrer Winterhagen starb 1871 als Lehrer in
Monzingen a. d. Nahe.
Sein Nachfolger, Peter Kaspar 54 - 56
kümmerte sich so wenig um die Schule des Hülfslehrers, daß
es zu den schlimmsten Anstritten in der Klasse kam. Diese Zustände
und zugleich die Fertigstellung des neuen evangelischen Schulhauses,
das 1853 erbaut wurde, machten die Anstellung eines zweiten Lehrers
nötig. So wurden 1856 die katholischen und evangelischen Schüler
getrennt und das alte Schulhaus den ersteren überlassen. Der
erste kath. Lehrer war Schirmer.
Damals war Kilz Lehrer an der
evangelischen Schule. Derselbe bekleidete bis zum Jahre 1876 die
Lehrerstelle. Während seiner Wirksamkeit gelang es dem Pfarrer
Günther in Holzfeld eine Privatschule einzurichten (1868), für
Holzfeld eine Erleichterung für Werlau eine Vereinfachung, da
ca. 25 Kinder weniger zu unterrichten waren. Auch für den Lehrer
war es kein Nachteil, da die Holzfelder ihren Beitrag zum Gehalt
fortzahlen mußten.
Im Jahre 1875 wurde in Werlau die
Simultanschule eingerichtet, an welcher Lehrer Kilz die erste, Lehrer
Schmitt die zweite Klasse hatte. Es war das ein Versuch, das
ungleiche Verhältnis der bis dahin getrennten Schulklassen (ca.
85 gegen ca. 35 Kinder) auszugleichen. Man richtete ein
Dreiklassensystem mit 2 Lehrkräften ein, indem Mittel und
Unterstufe vom 2., Oberstufe vom 1. Lehrer unterrichtet wurden. Da
aber weder die Evangelischen noch die Katholischen mit dem Erfolg
zufrieden waren, auch die Zahl der evangel. Schüler zurückging,
wurden die Simultanschulen im Jahre 1886 auf Antrag des Gemeinderates
wieder aufgelöst und das 1853 neu erbaute Schulhaus der evangel.
Schule zugewiesen; da aber die Schülerzahl noch immer
beträchtlich hoch war, (ca. 80 - 90) wurde die Halbtagsschule
eingerichtet.
Im Jahre 1886 wurde der Lehrer Kilz pensioniert, -
er
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starb
schon am 29. Sept. 1886 - und es folgte ihm der Lehrer Schuch,
welcher bis 1890 den 1. Juli die Stelle versah.
Sein Nachfolger
war Julius Hoffmann, welcher am 15. Mai 1892 nach Winningen versetzt
wurde. Die vakante Stelle wurde von dem Lehrer Hottenbacher, der
damals in Holzfeld war, mit bedient, bis am 1. August desselben
Jahres derselbe in Werlau angestellt wurde. Im Jahre 1897 wurden die
Küsterdienste von dem Schuldienst getrennt und die Schulstelle
mit der Organistenstelle organisch verbunden. Nur das Abholen der
Leichen bei Beerdigungen durch den Lehrer mit den schulkindern
erinnert noch an den alten Kantordienst.
Lehrer Hottenbacher ward
1900 an die Schule nach St. Goar gewählt. Im Oktober ward dem
Schulamtskandidat Kohl die Stelle in Werlau übertragen. Aber nur
bis Oktober 1901 blieb er in dem Dienst. Von November 1901 bis Januar
1902 war der Schulamtskandidat Himmelreich als Schulverwalter tätig,
und nach dessen Versetzung kam der noch hier tätige
Schulamtskandidat Alfred Boesser nach Werlau.
Die Aufsicht über
die Schule wurde bis zur französichen Zeit von dem Inspektor zu
St. Goar geführt, dem der Pfarer als Ortsschulinspektor
unterstellt war. Die Aufsicht durch den Pfarrer als
Ortsschulinspektor im Nebenamte ist von der preußischen
Regierung beibehalten, dagegen hat man die Kreisschulinspektoren in
die Hände von Fachmännern gelegt. Nicht an der
Ortsschulinspektion, sondern an dem Geiste der Liebe und des
Vertrauens, an der rechten Erkenntnis der gemeinsamen großen
Erziehungsaufgaben, welche Kirche und Schule haben, hängt der
Erfolg eines gesegneten Zusammenwirkens von Schule und Kirche. Lehrer
und Pfarrer, mögen sie sich immer dieser großen Aufgaben
bewußt bleiben, mögen sie immer in einem Sinn und Geiste
arbeiten, dann dient die Schule der Gemeinde, dann hilft sie Gottes
Reich bauen.
Anhang: Die Lehrer der katholischen Schule waren: 56 - Okt. 57 Schirmer 58 - 62 Joras 62 - 63 Verwaltung 63 - 68 Müller 69 - 70 Verwaltung 71 - 73 Capitain 73 - 74 Verwaltung 75 - 77 Schmitt 78 - 79 Verwaltung 79 - 1097 (*) Herrmann Wilms. Einweihung des katholischen Schulhauses.
*) vermutlich Zahlendreher - richtig müßte es wohl heißen : "1907" (-ß-)
Innerhalb von 28 Jahren waren also 10 Lehrkräfte an der Schule tätig. Das Bild der letzten 10 Jahre an der evangelischen Schule ist nicht günstiger. Wohin soll es mit der Erziehung unserer Jugend kommen, wenn dieselbe so oft in andere Hände übergeht!
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6. Zur Weihe ( 4. Dez. 1907 )
Nun
ist vollendet das stolze Gebäu,
Laut kündet's ihr
Glocken den Landen !
Gar freundlich hat sich erhoben und neu,
Wo
das alte Kirchlein gestanden,
Ein Gotteshaus hoch, ein Gotteshaus
hehr :
Dem Herrn im Himmel sei Preis und Ehr !
Ihn wollen wir
dankbar loben.
Gegründet und fest in dem Fundament
Steht
es mit Mauern und Turme;
Hoch ragt es empor zum Firmament
Und
wird's auch umbrauset vom Sturme, -
Gebaut ist es stark, gebaut
ist es gut;
Und steht in des treuen Gottes Hut;
Ihm sei unser
Werk befohlen.
Stolz reckt sich und hoch der Turm in die
Luft,
Ein Zeigefinger nach oben.
Von seiner Zinne die Glocke
ruft,
Sie mahnet zum Beten und Loben.
Und wenn sie einzieht,
die fromme Gemein
So soll dieses Haus ein Bethaus sein
Dich
Vater im Himmel zu preisen.
Mög fest wie dies's Haus auch
gläubiger Sinn
Und Gottesfurcht stehn in den Herzen !
Mög
frommes Gebet nach oben zieh'n,
Gott suchen in Freuden und
Schmerzen.
Mög Segen strömen von dem Altar,
Von der
Kanzel ertönen rein und wahr
Dein Wort, die Speise der Seelen
!
Dich preisen wir Herr, daß in mancher Gefahr,
Du
bewahrt hast Gesellen und Meister !
Mit Deinem Schutz wache
immerdar
Ob uns allen, Du Herrscher der Geister.
O segne dies's
Haus und diese Gemein,
Ja segne alle die aus und ein
Hier
ziehen, Dich Vater zu suchen. -
So hebet alle die Herzen
empor
Den Vater im Himmel zu preisen;
Das vollendet wir sehen
das Schiff und das Chor,
Lobt ihn in fröhlichen Weisen !
Nun
pranget Sein Haus in heiliger Zier.
Wir fühlen's, der Dank, o
Herr gebührt Dir.
Gelobt sei Dein Name ! Amen.
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(-ß- / - Rev 2003)
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